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Der Naturwissenschaftliche Verein Darmstadt und die „Wissenschaftsstadt“


Übersicht:


 

1. Naturwissenschaftliche Vereine gibt es häufiger als Wikipedia mitteilt

In die große Online-Bibliothek „Wikipedia“ haben naturwissenschaftliche Vereine bislang nur in Form von vier Einzeleinträgen Eingang gefunden: Vertreten sind die Vereine in Bremen, Schleswig-Holstein, Wuppertal und Lippe (Stand Februar 2014). Diese magere Liste – es gibt noch immer deutlich mehr Vereine dieses Namens – ist schade, gründet aber wohl auch darin, dass über „Naturwissenschaftliche Vereine“ in Deutschland eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung fehlt, auf die sich ein Onlinelexikon-Artikel stützen könnte. Vielleicht wird diese Gesamtdarstellung auch nie erscheinen, weil die meisten dieser Vereine unter Phänomenen leiden, die alten Vereinen häufig zu eigen sind: Überalterung, Mitgliederschwund, fehlender Nachwuchs, mangelnde Internet-Affinität und oft auch patriarchalisches Gebahren eines Vereinsfürsten, der die verbliebenen Aktivitäten an sich zieht.

Dabei können Naturwissenschaftliche Verein in Deutschland meist auf eine lange und beeindruckende Geschichte zurückblicken. Ihre Wurzeln gründen im „Vormärz“, jener oppositionellen bis bürgerlich-revolutionären Phase in der deutschen Geschichte, deren Anfangszeit sich auch (wir sind hier immerhin in Darmstadt!) mit der Aktivität des Dichters – und Naturforschers! – Georg Büchner verband (Abb. 1) und die in der Deutschen März­revolution von 1848/49 gipfelte.

Und so wurde auch in Darmstadt in dieser Zeit der erste Anlauf für einen Naturwissenschaftlichen Verein genommen, als der Leiter des Botanischen Gartens Schnittspahn, ein Medizinalrat Merck und der Leiter des großherzoglichen Naturalienkabinetts Kaup im Jahre 1845 den „Naturhistorischen Verein für das Großherzogtum Hessen und Umgebung“ gründeten. Er unterhielt Sektionen für Zoologie, Botanik und Mineralogie, ging aber in den Wirren von Revolution und Konterrevolution des Jahres 1848 wieder unter.

Die Neugründung erfolgte dann im Januar 1880 durch sechs Professoren der Technischen Hochschule: Chemiker, Botaniker, Geologen, Zoologen und Physiker. Die Technische Hochschule (seit Oktober 1997 umfirmiert in „Technische Universität“) war erst drei Jahre zuvor aus der ehemaligen „Höheren Gewerbeschule“ hervorgegangen. Der junge Verein hatte stetigen Zulauf und erreichte 1908 erstmals die Marke von 400 Mitgliedern. Natürlich blieben auch Krisen nicht aus. So gingen in beiden Weltkriegen Mitgliederzahl und Vereinsaktivität stark zurück. Zur Ehre des Vereins ist zu vermerken, dass er in der Nazizeit die gewünschte „völkische Naturverbundenheit“ nicht mitmachte, in Folge dessen aber auch die Vereinsaktivitäten nahezu erloschen.

Erst 1954 wurde der Verein wiedergegründet und besteht seitdem ununterbrochen. 1980 feierte er sein hundertjähriges Jubiläum und erhielt bei diesem Anlass die Silberne Verdienstplakette – das ist die höchste Auszeichnung, die der Magistrat der Stadt Darmstadt zu vergeben hat.

 

2. Der ‚Darmstädter Naturwissenschaftliche Komplex‘

Der große Mitgliederzustrom insbesondere nach Gründung 1880 und Wiedergründung 1954 erklärt sich vor allem aus engen Verbindungen des Vereins mit wichtigen naturwissenschaftlichen Institutionen der Stadt. Die Beziehung zur Universität drückte sich – wie bereits vorgestellt – schon in der Personengruppe der Gründer aus.

Ein besonders wichtiges Standbein war ferner das hiesige Museum mit seiner weiten Bandbreite an Sammlungen aus allen Bereichen der Kunst bis tief hinein in die Naturwissenschaften. Schon 1820 hatte Großherzog Ludwig I. seine Kunst- und Naturaliensammlungen in Form einer Stiftung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die seitdem ständig erweitert und im Darmstädter Schloss ausgestellt wurden. Ab 1906 konnten die stetig gewachsenen Sammlungen in den stattlichen, von Alfred Messel entworfenen Neubau gegenüber dem Schloss einziehen. Dem Anspruch großer Bandbreite blieb das Museum bis in jüngere Zeit treu: Neben einem Ausbau zur modernen Kunst („Beuys-Block“) verfügt das Museum insbesondere über eine der größten Präparate-Sammlungen aus dem Weltkulturerbe „Grube Messel“, einem eozänen vulkanischen Maar, in dessen zu Ölschiefer verdichteten Sedimenten die Fauna jener Zeit reichhaltig konserviert und damit dokumentiert ist („Urpferdchen“, „Ida“ u.a.).

Neben wissenschaftlichen Mitarbeitern aus dem Museum kamen Lehrer aus den Darmstädter Schulen und Chemiker insbesondere aus der aufstrebenden Darmstädter Firma Merck zum Verein.

Nach dem Krieg kam noch ein weiteres, nämlich ein kommunales Standbein hinzu: Dem im Naturschutz (den es auch schon vor Erfindung der ‚Grünen‘ gab) überaus regen leitenden städtischen Mitarbeiter und Naturwissenschaftler Dr. Heinz Ackermann war es gelungen, trotz armer Nachkriegszeit und einer weitgehend zerbombten Stadt seit 1952 innerhalb der Stadtverwaltung ein „Institut für Naturschutz“ aufzubauen, das zudem an herausragender Stelle, nämlich im Alten Rathaus am Marktplatz untergebracht war (später in der Havelstraße). Dies Institut beschäftigte wissenschaftliche Mitarbeiter, die handfeste Forschung im Bereich Umweltschutz und Ökologie betrieben. Zur Unterstützung der Wissenschaftler wurde ein leistungsfähiges chemisches Labor aufgebaut, das bis zu seiner Schließung ganz praktisch auch die gesamte Analytik abdecken konnte, die im Zuständigkeitsbereich der Stadt Darmstadt zu erledigen war (u.a. Kanalüberwachung und Einleiterkontrolle, Bioindikatorenauswertung u.v.a.). Eindrucksvoll zeigt die Publizistik des Instituts, was hier alles erforscht, bearbeitet, koordiniert, betreut und angestoßen wurde: Veröffentlichungen des Instituts für Naturschutz (Die PDF-Datei wird in einem separatem Fenster/Tabulator geöffnet).

Die Vereinsgründer des Jahres 1954 stammten sowohl aus dem wissenschaftlichen Personal des Landesmuseums als auch aus dem des städtischen Instituts für Naturschutz. Schon damals etablierte sich die Regel, dass als Vereinsvorsitzender der Kustos der Naturwissenschaftlichen Sammlungen im Landesmuseum und als Geschäftsführer der Leiter des Instituts für Naturschutz agierte. Der Verein wurde so zu einer wichtigen Klammer zwischen wesentlichen naturwissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt.

Im weiteren Lauf der Zeit gelang es insbesondere Heinz Ackermann, weitere naturwissenschaftliche Institutionen dem Verein verbundenen Geflecht hinzuzufügen. Seine größte Leistung (neben dem Institut) ist insofern die Gründung eines zoologischen Gartens, den er „Vivarium“ nannte und dessen Geschäfte er sodann ebenfalls führte. Dieser Zoo sollte nach wissenschaftlichen Kriterien geführt werden und insbesondere den Schulen vielfältige Möglichkeiten bieten, ihren SchülerInnen die Zoologie praktisch nahezubringen. Unterstützt wurde dies Projekt (insbesondere auch mit Blick auf die Zielgruppe der Multiplikatoren, der Biologielehrer in den Darmstädter Schulen) durch eine wissenschaftliche Quartalsschrift (Abb. 2).

Im April 1961 gründete sich die „Kaupiana“ als „Vereinigung der Freunde und Förderer des Darmstädter Schul-Vivariums“ und gliederte sich sogleich in den ‚Naturwissenschaftlichen Komplex Darmstadt‘ ein: Die Gründungsveranstaltung fand im Landesmuseum statt, Vorsitzender wurde Dr. Karl Merck, ferner im Vorstand – unmittelbar auf den Zweck des Vivariums abgestellt – drei LehrerInnen/Studienräte: Irmgard Paetzold, Kurt Willenbach und Dr. Heinz Döring. Heinz Ackermann übernahm auch in diesem Verein die Geschäftsführung, so dass die Geschäftsstelle beim Institut für Naturschutz im Alten Rathaus am Markt landete.

Schließlich sollte in diesem Kontext auch das Geographische Institut der Technischen Hochschule genannt werden. Auch in diesem Institut lief damals unter der Leitung von Professor Otmar Seuffert praktisch-ökologische Forschung, die in einer eigenen Schriftenreihe „GeoÖko“ publiziert wurde. Selbstredend arbeitete man zusammen – auch als es das Institut für Naturschutz nicht mehr gab. So entstand z.B. 1990 (Zenit der Aktivitäten im Naturwissenschaftlichen Verein) ein für Darmstadt nützliches Projekt, in dem die Entwicklung, Nutzung und Belastung der Darmstädter Kleingärten mit Schwermetallen und anderen Schadstoffen untersucht wurde. Hier wirkten das Institut für Soziologie an der TH Darmstadt (Herbert Eigler, Holger Bargmann, Jutta Zabel), das Geografische Institut an der TH Darmstadt (Hans-Peter Harres, Walter Rhiem, Hans-Jürgen Unger) und das Umweltamt der Stadt Darmstadt (Michael Höllwarth, Heinrich Schäfer) in einem beispielhaften interdisziplinären Projekt zusammen, obwohl wesentliche Ressourcen wie das Institutslabor bereits zertrümmert waren (s.u.).

Das Geographische Institut schuf sich im Übrigen – ähnlichem dem Institut für Naturschutz – eine Art „Beiboot“ im „Verein für Erdkunde zu Darmstadt“.

 

3. Höhen und Tiefen im Spiegel der Mitgliederbewegung

Im Diagramm der Abb. 3 sind aus diversen Quellen die erreichbaren Informationen über die Mitgliederentwicklung im Verein zusammengestellt. Nicht erfasst ist der erste Gründungsversuch im Vormärz. Aus den ersten Jahren nach der Neugründung von 1880 liegen keine Daten vor, ebenso aus den Zeiten der beiden Weltkriege.

Mitgliederentwicklung des Naturwissenschaftlichen Vereins Darmstadt von 1880 bis 2012

Abb. 3: Mitgliederentwicklung im Naturwissenschaftlichen Verein ab 1880. Bis 1981 wurden Familien oder Paare einfach gezählt, danach die zugehörigen Personen einzeln (Sprung in der Kurve). Daten aus den Berichtsbänden NF 4 (1980) S. 62, NF 14 (1992) S. 5, ab Berichtsband NF 13 (1989) fortlaufende Einzeldaten in den Jahresberichten des Vorstands.

 

Die Nachkriegsentwick­lung nach Wiedergründung im Jahre 1954 nimmt einen ähnlichen Verlauf wie die erste Vereinsphase von 1880 bis 1939: jeweils folgt auf einen raschen und kräftigen Anstieg der Mitgliedszahlen eine Stabilisierung, vor dem Krieg bei 400 nach dem Krieg bei 500. Im Jahre 1983 ergibt sich dann noch einmal ein abrupter Sprung auf einen Level knapp unter 700, der aber einer Trickserei geschuldet war: da wurden nämlich die bislang summarisch gezählten Familienmitgliedschaften umgerechnet, so dass zuvor einfach gezählte Paare nun als zwei Mitglieder zu Buche schlugen und auch noch ein paar Kinder die Statistik bereicherten. Auch das konnte aber nicht kaschieren, dass seit der nur wenig später folgenden Spitze im Jahre 1992 die Kurve recht gradlinig in den Keller weist und (ohne die Umstellung auf „Einzelmitglieder“) inzwischen ein Niveau erreicht hat, auf dem sich der Verein in den 40-er Jahren auflöste.

Die Spitze um 1990 (mit 682 „Einzelmit­gliedern“ in 1992) fiel in eine Hoch-Zeit des Vereins, als eine große Jahresexkursion wegen anhaltender Nachfrage noch einmal wiederholt werden konnte bzw. musste – was seitdem nie mehr passiert ist.

Diese Exkursion ging nach Sardinien, wo in den 80-er Jahren der ‚Darmstädter naturwissenschaft­liche Komplex‘ umfangreiche Forschungen betrieben hatte. Mitarbeiter des Geographischen Instituts an der Technischen Hochschule untersuchten in Zusammenarbeit mit dem städtischen Institut für Naturschutz und dessen gut ausgestattetem Labor mediterrane Erosions­prozesse mit Auswirkung auf die Verfrachtung von Schwermetall­ablagerun­gen aus den Halden der sardischen Erzminen (Abb. 4; Ein typischer Literatur­titel dieser Zeit in Geo-Öko-Dynamik VIII, 1-1987, Hrsg. von Otmar Seufert i.V.m. dem Verein für Erdkunde zu Darmstadt e.V., der die Kooperations­beziehungen aufscheinen lässt: „Altlasten besonde­rer Art. Erzgewinnung in Sardinien und Schwermetallbelastung“ – Harres, Höllwarth, Seuffert, Dieckmann).

In den Jahren nach seiner Neugründung 1954 hatte der Verein zunächst eher kleinräumig operiert. Exkursionsziele lagen vorrangig im Nahbereich und reichten darüber hinaus noch in den weiteren süddeutschen Raum. Erst nach einem Jahrzehnt fand die erste große Exkursion statt – die sich sogleich zu einer wahren For­schungs­reise ausweitete:

Angesichts der großen Nachfrage machten sich im Jahre 1965 insgesamt 66 TeilnehmerInnen auf den Weg nach Arcachon an der französischen Atlantikküste, die wegen der beengten Möglichkeiten vor Ort in zwei nacheinander reisende Gruppen aufgeteilt werden mussten. Dort konnten sie die Räume und Ressourcen des der Universität von Bordeaux angeschlossenen Meeresbiologi­schen Instituts nutzen und die Tierwelt der Bucht von Arcachon erkunden. Ein ausführlicher Berichtsband dokumentierte die Resultate (Abb. 5).

Resultate der Arcachon-Exkursion 1965

Abb. 5: Tiere des Sand- und Schlickwatts – aus den Erträgen der Arcachon-Exkursion 1965, Exkursionsbericht S. 44

 

Dieser Impetus allseitiger Wissbegierigkeit ist in der Folgezeit allmählich erlahmt, das Exkursions- und Veranstaltungsprogramm vollzog sich immer mehr in einem bewährten, aber auch routinierten Rhythmus. Aktive Beiträge von Teilnehmern gingen zurück, Exkursionen wurden immer mehr zu angenehmen lehrreichen Reisen, die irgendjemand organisiert hatte und die man entspannt goutieren konnte. Dabei wurden die Mitglieder immer älter (und damit auch weniger), neue kamen kaum nach. Die Mitgliedschaftskurve zeigt diesen bis heute anhaltenden Vorgang unmissverständlich.

 

4. Der ‚Naturwissenschaftliche Komplex‘ zerbröselt

Darmstadt nennt sich seit 1997 „Wissenschaftsstadt“. Wohlmeinend könnte man sagen: Schön, dass das auf den Ortsschildern steht. Denn all diejenigen, die diese Auszeichnung ständig im Munde führen (lustiger ist’s, wenn ein Heiner nach längerer Grohe-Sitzung diesen Bezeichner im Munde führt; versuchen Sie doch mal „Wissenschaftsstadt Darmstadt“ nach 10 Bier), wissen offenbar gar nicht (oder wollen es nicht sehen), welche wichtigen Wissenschaftsstrukturen in den letzten Jahrzehnten in Darmstadt fast zu Staub zerbröselt sind.

Ein recht Technologie-fixierter Wikipedia-Autor hat über Darmstadt als „Wissenschaftsstadt“ (Abb. 6) folgendes verfasst:

Ihre Bedeutung als Wissenschaftsstadt verdankt sie der 1877 gegründeten Technischen Universität und den beiden Hochschulen (h_da, EHD) mit insgesamt circa 41.000 Studenten sowie über 30 weiteren Forschungseinrichtungen und Instituten, darunter das GSI Helmholtz Zentrum für Schwerionenforschung, das Europäische Raumflugkontrollzentrum (ESA/ESOC), die Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT) und drei Institute der Fraunhofer Gesellschaft. Dazu kommen große Firmen und Einrichtungen der Kommunikations- und IT-Branche, die angewandte Forschung und Entwicklung betreiben.

Zu gerne würde man mal eine vollständige Liste dieser „über 30 Forschungseinrichtungen“ sehen (die es nirgends gibt).

Hier sei über diese Bemerkung hinaus nur eine von vielen nötigen Anmerkungen gemacht: Eine so wichtige wissenschaftsgeschichtliche Einrichtung wie die naturwissenschaftlichen Sammlungen des Hessischen Landesmuseums werden in dieser Charakterisierung einer „Wissenschaftsstadt“ offenbar als überflüssig angesehen. Nicht einmal die 2013 ausgetauschte Leitung des 2014 wiedereröffnenden Landesmuseums selbst hält es für nötig, auf ihrer Website diese Wissenschaftsgeschichte in angemessener Form darzustellen (hingegen macht man umso mehr modischen Wind bei Facebook).

Wo niemand nach Problemlösungen sucht, gibt’s auch keine Probleme

Den Niedergang des Darmstädter ‚Naturwissenschaftlichen Komplexes‘ hat vornehmlich der Darmstädter Oberbürgermeister Günther Metzger (Abb. 7) eingeleitet (1933 bis 2013, OB von 1981 bis 1993). Mir fällt zu ihm ein knapper, pointierter, jüngst publizierter Leserbrief zu einem in der FAZ veröffentlichten Bild des französischen Präsidenten Hollande ein, der da hinter seinem riesigen, ganz ordentlich mit Akten gefüllten Schreibtisch der Unterschriften-leisten-Arbeit nachgeht und von dem Leserbriefschreiber annotiert wird: „Wie will ein solcher Mann Frankreich führen, wenn sein Schreibtisch wie der eines Sachbearbeiters aussieht?“.

Bei Metzger sah es noch schlimmer aus: Auf mehreren großen Tischen, die in seinem weiträumigen Büro aufgestellt waren, drängten sich Kästen voller senkrecht eingeschichteter Akten und Klarsichtmappen – als ob sämtliche Vorgänge in der Verwaltung sich hier ein Stelldichein geben würden. Ein solcher Mann, der im Prinzip alles auf seinen Tischen stehen hat, meint keinen Rat zu brauchen ... und braucht schon gar keine neuen Probleme, die sich noch nicht in der Aktenfülle auf seinen Aktentischen verkörpern. Ein solcher Typ ist vor allem daran interessiert, die anstehenden Vorgänge zu reduzieren.

Und so steuerte Metzger als eine seiner ersten Unternehmungen den Verkauf der städtischen Kläranlagen an – sozusagen: ‚Bloß weg mit dem Dreck! ‘ Die Kläranlagen mussten damals saniert werden, um den sich seinerzeit entwickelnden weitergehenden Anforderungen an Abwasserreinigung zu entsprechen. Diese Sanierung hätte auch das damals noch propere städtische Tiefbauamt hinbekommen (die städtischen Ingenieure haben das nämlich dann auch tatsächlich erledigt – nachdem sie mit ihren Kläranlagen verkauft worden waren). Doch Metzger wollte die an sich hoheitliche Aufgabe der Abwasserreinigung nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich haben (sekundiert von dem eigentlich zuständigen, grundsätzlich privatisierungsfreundlichen „liberalen“ Dezernenten Heino Swyter). Er drückte den Verkauf durch. Im Ergebnis erhielten die Darmstädter eine völlig überdimensionierte neue Kläranlage und durften nach Umlage derer Kosten horrende Abwassergebühren zahlen. Erfolgreiche Klagen (auch von meiner Person) hatten dann eine Senkung der Abwassergebühren zur Folge, die die Stadt fürderhin in Millionenhöhe belastete.

In unserem Kontext der Zerbröselung des ‚Naturwissenschaftlichen Komplexes‘ ist nun von Interesse, dass das Institut für Naturschutz mit seinem gut ausgestatteten Labor auch im Bereich der Abwasserreinigung analytisch tätig war und damit bei einem Kläranlagenverkauf ebenfalls zur Disposition stand. Insofern konnte damals nicht das gern bemühte ‚liberale‘ Argument ins Feld geführt werden, dass die öffentliche Erledigung solcher Aufgaben defizitär sei, denn das Labor arbeitet absolut kostendeckend. Doch irgendwie gehörte es für Metzger zu den Kläranlagen, die ja weg sollten – und so wurde auch das Instituts-Labor mitverkauft. Das Institut für Naturschutz ging dabei gleich mit den Bach runter. Das Argument, das Institut benötige sein Labor, zog bei Metzger schon gar nicht. Denn dies Institut hätte ja im Sinne seines vorbeugenden, vorausschauenden Forschungskonzepts womöglich Erkenntnisse über Umweltprobleme präsentieren können, die draußen noch niemanden störten, die aber mit ihrer Präsentation bereits vom Chef Entscheidungen verlangten. Wie schon gesagt: der Mann wollte Probleme loswerden, nicht aber noch gar nicht virulente Probleme lösen. Also wurde das Institut gleich mit aufgelöst.

Zurück blieb ein Umweltamt, in dem der Erfinder eines angeblich vermarktungsfähigen Produkts aus Messeler Ölschiefer-Verschwelungsrückständen („Orgabo“) eine nicht weiter störende Amtsleiterregie führte. So ändern sich die Zeiten: Während sich die Naturwissenschaftler in Institut, Verein und Museum für die Fossilien im Ölschiefer interessierten, interessierte sich dieser Umweltsamtsdirektor für die Verwertung des Ölschiefers, mit dessen Verschwelung zuvor ein Großteil der Fossilien vernichtet worden war.

Die meisten wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts zerstreuten sich in alle Winde. Einer – der Geschäftsführer des Naturwissenschaftlichen Vereins nach Ackermann, Dr. Höllwarth – leitete noch kurzzeitig nach Pensionierung des Orgabo-Vermarkters Dr. Holz das Amt. Heute ist das Umweltamt auf absolute Pflichtaufgaben (Untere Naturschutz- und Wasserbehörde) zurückgeschrumpft. Lediglich ein einziger (damals) jüngerer wissenschaftlicher Mitarbeiter aus dem alten Institut blieb übrig und wurde in das belanglos gewordene Umweltamt integriert.

Wo eigentlich ist das Landesmuseum?

Darmstadt ist (in eingeweihten Kreisen) dafür bekannt, dass hier allerlei Zuordnungen nicht stimmen: Auf dem zentralen Luisenplatz (nach der Großherzogin Luise Henriette Karoline von Hessen-Darmstadt benannt) steht der „Lange Ludwig“ (Bronzestandbild von Großherzog Ludwig I. von Hessen-Darmstadt auf einer 33 m hohen Säule). Auf dem Ludwigsplatz hingegen, den es durchaus gibt, steht ein Bismarck-Denkmal, usw. In jüngster Zeit (2013/14) hat man es geschafft, eine Büchner-Ausstellung (mit viel Klamauk – siehe oben Abb. 1) als Veranstaltung des Instituts Mathildenhöhe zu bewerben, die aber ganz woanders, nämlich im Millionengrab des städtischen Kongresszentrums „Stadtdarmium“ stattfand.

Ähnlich geht es auch dem Hessischen Landesmuseum. Der von Alfred Messel geplante Bau steht zwar noch immer am verkehrsüberfluteten „Cityring“, der das von Messel so geschickt im Tripel-Kontext zu Schloss und Großherzoglichem Hoftheater platzierte Museumsgebäude heute von selbigem Schloss rigide und ignorant abschneidet. Doch Musemsbetrieb findet dort schon lange nicht mehr statt. Eine Wiedereröffnung sollen wir – nach allerlei Vorankündigungen ähnlich wie beim „Hauptstadtflughafen“ – nun im Laufe des Jahres 2014 erwarten (Abb. 8). Das Haus wurde 2007 zur Sanierung geschlossen, deren Kosten – wieder wie beim „Hauptstadtflughafen“ – immer neue Niveaus erklommen. Fragen Sie nicht, was in diesen 7 Jahren dort passiert ist und wofür das viele Geld ausgegeben wurde! Alfred Messel hat für die Errichtung des Gebäudes lediglich fünf Jahre zwischen 1897 und 1902 und viel weniger Geld benötigt(vgl. Web-Quelle).

Jedenfalls ist inzwischen eine komplette Kindergeneration an diesem Museum vorbeigegangen – Kinder, deren Vorgänger sich früher beeindruckt die Nasen an den Glasscheiben der Dioramen in der zoologischen Abteilung plattgedrückt haben.

Zuletzt (bis 2012) war der frühere Kustos der zoologischen Abteilung im Landesmuseum, Dr. Hanns Feustel, langjähriger Vorsitzender des Naturwissenschaftlichen Vereins, bis er aus ehrwürdigen Altersgründen aus dem Vorstand ausschied. Aktive Mitarbeiter des Museums ließen sich allenfalls noch für Vorträge gewinnen. Das allseits gerade in den „Kleinen“ (meint v.a. „unbedeutenden“) wissenschaftlichen Fächern grassierende System von zeitlich befristeten prekären Arbeitsverträgen scheint ansonsten auch für das jüngere Personal im Museum eine dauerhafte und verantwortliche Arbeit in Vereinsstrukturen schwierig bis unmöglich zu machen.

Darmstadts „Vivarium“ wird zum Streichelzoo

Die anhaltende Ignoranz der Darmstädter Stadtregierung gegenüber einer ernsthaften Umweltpolitik wird in der Entscheidung offenkundig, die der grüne Umweltdezernent Klaus Feuchtinger traf: Der ursprünglich als lebendes zoologisches Klassenzimmer für die Bildung Darmstädter SchülerInnen gedachte Zoo wurde zwecks Realisierung von Haushaltseinsparungen in die Verwaltung des Städtischen Abfallbetriebs gestellt.

Dessen Managerin hatte schon zuvor Effizienz und Kostenbewusstsein bewiesen und legte auch alsbald im Vivarium los: Als erstes wurde der bisherige Leiter, der Tierarzt Dr. Becker, aus seiner Funktion herausgemobbt. Er hatte die wissenschaftlichen Ansprüche noch hoch gehalten, die auch ein Kleinzoo wie der Darmstädter erfüllen kann. Nun aber wurde feiner Sand zu einem Strand (ohne Fluss oder Meer) aufgeschüttet, wurden darauf Liegestühle aufgestellt, in denen sich nun „Zoo“-Besucher sonnen konnten. Die Gastronomieflächen wurden erweitert und der Streichelzoo ausgebaut. Man hatte auch keinerlei Hemmungen, für die vielen Kinder, die nach wie vor gerne das Vivarium besuchen, einen mechanischen Papagei aufzustellen, der nach Einwurf einer Münze krächzend Laut gab.

Derweil üben die Schulen das G 8-Turboabitur und werden wohl auch nach einer absehbaren Rückkehr zu G 9 in ihren durchgetakteten Stundenplänen keine Zeit mehr haben, um (wie das früher geschah) einen ganzen Vormittag dem Studium von Tieren im Vivarium zu widmen. Lediglich die Darmstädter „Freie Comeniusschule“ kann das noch im Rahmen ihres ganzheitlichen, projektorientierten Lernkonzepts.

Die „Kaupiana“

... gibt es noch. Das Vivarium ist in der Bevölkerung ungebremst beliebt, und so bleibt auch die Mitgliedschaft in seinem Förderverein stabil. Da immer mal ein älterer Naturfreund ohne Nachkommen stirbt, wird dem Verein die eine oder andere Immobilie vererbt, deren Verwertung sodann die Investition in neue Tierhäuser auf dem Zoogelände ermöglicht. Der Abfallbetrieb der Stadt, der inzwischen das Vivarium verwaltet, muss also gar kein Geld ausgeben, um die Zoobebauung zu entfalten, zu erneuern oder zu sanieren. Dafür hat in der Vergangenheit weitgehend die ‚Kaupiana‘ gesorgt. Doch auch dieser Verein wird älter und leidet unter fehlendem Nachwuchs insbesondere junger Aktivisten. Und so ist der Vorsitz dieses „reichen“ Vereins nebst Geschäftsführung inzwischen in der Hand jener Institution geraten, die sowieso gerne mit Geld umgeht: der Städtischen Sparkasse. Auch hier sind also nicht mehr die Naturwissenschaftler am Ruder.

Und die Geowissenschaften?

Das Geografische Institut an der TH Darmstadt, das u.a. in den Forschungen auf Sardinien tätig war, ist aufgelöst. Sein Leiter – Professor Seuffert – in Pension, ebenso der langjährige Motor vieler Forschungs- und Exkursionsaktivitäten in diesem Institut, Hans-Peter Harres (zeitweise auch im Vorstand des Naturwissenschaftlichen Vereins und langjähriger Vorsitzender des Naturschutzbeirats Darmstadt). Das umorganisierte Fachgebiet für „Angewandte Geowissenschaften“ ist offenbar völlig in seine Anwendungskontexte eingebunden, im Darmstädter naturwissenschaftlichen Komplex jedoch nicht mehr wahrnehmbar. Den Verein für Erdkunde gibt es noch (aber ohne Webauftritt). Er veranstaltet hin und wieder einen interessanten Vortrag und unternimmt die eine oder andere entspannte Reise.

 

5. Bedeutende Personen im Naturwissenschaftlichen Verein

Es gibt eine Vielzahl von Menschen, die Bedeutendes im Bereich der Darmstädter naturwissenschaftlichen Institutionen sowie in unserem, diesen ‚naturwissenschaftlichen Komplex‘ klammernden, Naturwissenschaftlichen Verein getan haben. Man müsste allerdings tief in die Archive eintauchen, da sich Informationen darüber nicht einfach wie heute üblich „aus dem Internet“ ziehen lassen. All diese Menschen waren in vorelektronischer Zeit tätig. Drei von ihnen werden hier zunächst nur knapp und vorläufig skizziert:

Allen voran ist Heinz Ackermann zu nennen (Abb. 9), dessen Leistungen insbesondere im Aufbau des Instituts für Naturschutz und des Darmstädter Vivariums, verbunden mit diversen Geschäftsführungen der Kaupiana und des Naturwissenschaftlichen Vereins bereits Erwähnung fanden. Als Magistratsdirektor war er in herausgehobener Verwaltungsfunktion tätig und verstand es, auch die politische Ebene für seine Projekte einzunehmen. Zudem gelang es ihm, persönliche und finanzielle Unterstützung durch den Darmstädter Stromversorger HEAG zu aktivieren, dessen Direktor Dr. Joachim Borsdorff alsbald den Vorsitz in der Kaupiana übernahm.

Ackermann war ein „Strippenzieher“ im besten Sinne. Bei den regelmäßigen Treffen in der Vivariums-Gaststätte „Eulenpick“ trafen sich die Akteure von Borsdorff über Ackermann bis zum zuständigen Dezernenten Bürgermeister Seffrin bei manchem Korn. Hier wurden Projekte entwickelt und deren Umsetzung organisiert.

Publizistisch werden Sie Ackermann allerdings in der NWV-Datenbank (Suchmaske rechts) zu den Aktivitäten des Naturwissenschaftlichen Vereins kaum finden. Ackermann publizierte zum einen in der Veröffentlichungsreihe des Instituts für Naturschutz (vgl. Link unter der Datenbank-Suchmaske) sowie in der wissenschaftlichen Informationsschrift des Vivariums Darmstadt, die damals quartalsweise erschien (Abb. 2; diese Hefte wurden dann allerdings wieder den Berichtsbänden das Naturwissenschaftlichen Vereins beigebunden).

Georg Scheer (ebenfalls promovierter Naturwissenschaftler/Biologe, 1910 bis 2004, Abb. 10) war Kustos im Landesmuseum, als er 1960 im Sinne der 1954 begründeten Funktionszuordnungen zum Vorsitzenden des Vereins gewählt wurde. Er gehörte bereits zu den Gründungsmitgliedern des Vereins, hatte mit seinem Vortrag über „Darwin und die Galapagos-Inseln“ die Aktivitäten des frisch gegründeten Vereins eingeleitet und in der Folgezeit durch eine Vielzahl von Aktivitäten bereichert (Näheres sehen Sie durch Nutzung der Suchmaske rechts, bei Vorwahl von „Autor“ und Eingabe des Namens „Scheer“). Auch an der bereits erwähnten Exkursion nach Arcachon hatte er namhaften Anteil.

 

Ein wichtiger Abschnitt in seiner Biografie ist (soweit ich sehe) nirgends schriftlich vermerkt, er wurde allenfalls in Vereinskreisen erzählt (Georg Scheer selbst hat darüber nie ein Wort verloren): Als Erstausbildung hatte er ein Ingenieursstudium durchlaufen. Als junger Ingenieur war er in der Kriegszeit in Peenemünde tätig, wo er in der riesigen „Heeres­versuchsanstalt“ unter der technischen Leitung von Wernher von Braun am Raketen­programm der Nazis arbeitete (Abb. 11; vgl. z.B. SZ vom 22.03.2012: Hauptsache nach oben. Vor 100 Jahren wurde der deutsche Raketen­konstrukteur Wernher von Braun geboren, ein Technik-Genie mit zweifelhafter Moral.)

 

 

 

 

 

Hanns Feustel (Abb. 12), ebenfalls Kustos im Hessischen Landesmuseum für die zoologische Abteilung, übernahm 1975 den Vereinsvorsitz von Georg Scheer und füllte ihn bis ins Jahr 2012 aus (angesichts dieser langen Zeit sind die Suchergebnisse über die Suchmaske rechts noch wesentlich umfänglicher als bei Georg Scheer).

Sein in der DDR erworbenes und mit seiner wissen­schaftlichen Arbeit beständig ausgebautes enormes Wissen über Flora und vor allem Fauna verstand Feustel immer auch „pädagogisch“ zu nutzen, ja für diese oft spielerische und immer spannende Vermittlung hielt er es geradezu vor. Er kannte zu jedem Tier mindestens eine Geschichte, die seine Zuhörer auf die Besonderheiten des beschriebenen Wesens fesseln konnte. Besonders wichtig war es ihm, Kinder und Jugendliche für die Lebewesen seines Fachgebiets zu interessieren (die oben bereits erwähnten „plattgedrückten Nasen“ an den Vitrinen der Zoologie im Landesmuseum waren Beleg für seinen Erfolg). Selbstredend war er deshalb auch in Vivarium und ‚Kaupiana‘ aktiv, die sich (nach dem ursprünglichen Konzept) für die Vermittlung naturwissenschaftlicher Bildung in die Schülerschaft hinein gegründeten hatten.

Fast zu jedem jener Treffen, die in alter Tradition weiterhin im „Eulenpick“ des Vivariums stattfanden, brachte er eine kleine Entdeckung mit. Hier nur zwei Beispiele.

Zum ersten: An einer Fensterscheibe seines Wohnhauses hatte er die Jagd einer Speispinne (Scytodes thoraci) beobachtet, die blitzschnell einen giftigen klebrigen Faden aus ihrem Mundwerkzeug fächerartig über ihr Opfer verspritzt, das dann gelähmt am Untergrund kleben bleibt (Auch die NWV-Datenbank liefert dazu einen Beleg). Noch der klassischen analogen Fototechnik verbunden wurde daraus ein Dia, das auf den verspritzten Faden fokussiert ist (Abb. 13).

Zweites Beispiel: Seine Spaziergänge führten Hanns Feustel regelmäßig über die Lichtwiese, wo er – fast in einem Langzeitprojekt – beobachtete, wie dort regelmäßig aus herabgefallenen Eicheln neue Pflanzen sprossen, die sich aber als Albinos zeigten und mangels Chlorophyll in den weißen Blättern irgendwann wieder eingingen. Meine Web-Umsetzung seines Beitrags finden Sie hier: Albino-Eichen auf der Lichtwiese (ebenso über den Link auf der rechten Randleiste). Leider hat sich noch kein Botaniker oder Student der Botanik gefunden, der den Gründen dieses Phänomens näher nachgegangen wäre. Das liegt sicherlich auch daran, dass heutige Biologie nicht mehr auf die klassische Bestimmung und Beschreibung von Arten konzentriert ist, sondern ihren Schwerpunkt auf das weite Feld industriell verwertbarer Biotechnologie verlagert.

In den pädagogischen Impetus als Wissenschaftler gliedert sich bei Hanns Feustel geschmeidig ein, dass er auch als bildender Künstler tätig ist. Ähnlich dem großen Vorbild des französischen Entomologen Jean Henri Fabre, der seine Insektenforschung in feinen Zeichnungen veranschaulichte, setzt auch Feustel das Wesen seiner zoologischen Objekte in Bilder um: er hat den Linolschnitt als sein Ausdrucksmedium gewählt. Viele dieser Drucke schmücken Veröffentlichungen, Urkunden oder Postkarten – hier mein Exemplar seines Weihnachtsdrucks von 2011:

 

6. Was folgt aus all dem?

Das was Sie jetzt gelesen haben, ist lediglich knapp skizziert, oft nur aus der Erinnerung gestützt. In dieser Form könnte es das Exposee eines Buches sein, das über den Naturwissenschaftlichen Verein Darmstadt zu schreiben wäre. Noch gibt es ein paar Zeitzeugen und Berge schriftlichen Materials, das es aufzuarbeiten gälte. Der wer soll das machen und wichtiger noch: wird es überhaupt noch hinreichend interessierte Leser für ein solches Buch geben? Oder wird die Geschichte des Naturwissenschaftlichen Vereins Darmstadt und des (von mir so genannten) „Darmstädter Naturwissenschaftlichen Komplexes“ ebenso aus der Erinnerung entschwinden, wie sie bereits in der Realentwicklung zerbröselt wurde? Gibt es noch eine Perspektive für einen solchen Verein, für deren Unterstützung die Aufarbeitung seiner Geschichte lohnen könnte?

Die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft – für Scheer eine Lebensentscheidung, für Feustel ein pädagogisches und für Ackermann ein institutionelles Programm – ist heute kaum noch ein Thema. Die hohe Drittmittelfinanzierung der Technischen Universität, die zu Zeiten der (mich sozialisierenden und ebenfalls an diesem Thema engagierten) 68-er Bewegung noch undenkbar war, hat die staatlichen Forschungskapazitäten effizient und verschwiegen in den Zusammenhang industrieller Wissensverwertung gebunden.

Da können wir eigentlich von Glück reden, dass es in Darmstadt noch so etwas wie Grundlagenforschung gibt, wenngleich selbst das hier gemeinte GSI-Helmholtz-Zentrum bereits unter dem gleichen Druck steht, seine Forschung verwertungsbezogen zu legitimieren (werbend in den Vordergrund geschobenes Beispiel: Anwendung von Schwerionenstrahlen in der Krebstherapie). Wohl nicht von ungefähr war ein Besuch bei der GSI durch den Naturwissenschaftlichen Verein im Mai 2012 eine der erfolgreichsten Veranstaltungen in der jüngeren Vereinsgeschichte (siehe meinen Bericht über die Besichtigung der GSI in einer separaten PDF-Datei. Dieser Faden müsste weitergesponnen werden, der Verein müsste (was er schon lange nicht mehr tut) das Thema gesellschaftlicher Verantwortung von Wissenschaft wieder diskutieren und dazu auch öffentlich Position beziehen. Die alten beeindruckenden, inzwischen aber zerbröselten Strukturen des „Darmstädter Naturwissenschaftlichen Komplexes“ kann er nicht wieder errichten, aber mit einer offensiven Thematisierung vielleicht nachdenkliche jüngere Menschen gewinnen.

 

Michael Siebert, im April 2014