Point Alpha

Ein Vorposten der Amerikaner im Kalten Krieg

Zwischen Tann in der Rhön im Süden und Eisenach im Norden kragt Thüringen bis zu 10 km nach Hessen hinein. Im südlichen Teil dieser Grenzausstülpung liegt Geisa, ihm gegenüber das hessische Rasdorf. Zu Zeiten des Kalten Krieges entwickelten die Amerikaner die Vorstellung, dass dieser thüringische Zwickel ein ideales Aufmarschgelände für einen Sturmangriff der übermächtigen Armeen des Warschauer Paktes in den Westen sei. Da die Allgemeinheit mit „Geisa“, „Rasdorf“ oder anderen benachbarten Dörfern überörtlich nicht viel anzufangen musste, musste das bekanntere, aber entferntere Fulda herhalten, um den militärischen Begriff des „Fulda Gap“ als initiales Schlachtfeld eines Dritten Weltkrieges zu kreieren. Hier also würden die Armeen des Warschauer Paktes angreifen und zügig zunächst nach Frankfurt vorstoßen, im Kern die bei Erfurt stationierte 8. sowjetische Garde-Armee – die Stalingrad-Armee.

Die Topografie Osthessens zwischen Vogelsberg, Rhön, Thüringer Wald und Knüll. Man benötigt schon einige Phantasie, um ausgerechnet bei Geisa (Bildmitte unter der Lupe) eine Panzeraufmarsch-fähige Lücke nach Westen zwischen den hessisch-thüringischen Mittelgebirgen zu sehen.

 

Zwischen Rasdorf und Geisa hatten die amerikanischen Streitkräfte einen kleinen Stützpunkt eingerichtet, der der Beobachtung über die Grenze hinweg in die Senke von Geisa dienen sollte und „Point Alpha“ genannt wurde. Hier hat man nach dem Ende des Kalten Kriegs durch Fall der Mauer und Zusammenbruch des Warschauer Pakts eine Gedenkstätte errichtet, die den ehemaligen amerikanischen Vorposten aus dem Kalten Krieg weiternutzt. Wachturm, Fahnenmast und Baracken wurden restauriert und mit allerlei Militaria und Schautafeln ausgestattet. Besucher können an Rekonstruktionen der innerdeutschen Grenzbefestigungen entlang zu einem „Haus auf der Grenze“ mit weiteren Ausstellungen gehen. Dort hat man eine befremdliche Kombination von Naturidylle und Todesstreifen inszeniert.
Begeistert knipsen Jugendliche im Point-Alpha-Gelände die ausgestellten Panzer und Uniformen.  Alljährlich verleiht hier das 2003 gegründete „Kuratorium Deutsche Einheit“ (das irgendwie an das „Kuratorium Unteilbares Deutschland erinnert“) seinen Point-Alpha-Preis, dessen erste Empfänger das Trio Bush (sen.), Gorbatschow und Kohl waren.

Einen raren Ansatz kritischer Sicht auf diese Gedenkstätte versucht die Website „Militarisierte Landschaft“ auf einer Seite mit leider geschlossenem Blog: Militarisierte Landschaften Dort wird unter Bezug auf eine Veröffentlichung der ZEIT in der Reihe „Geschichte“ deren Autor Christoph Dieckmann zum „Fulda Gap“ so zitiert:

... merkt Dieckmann an, dass ‘die Story vom guten Amerikaner’ hier doch nur bedingt zu erzählen sei, da die Amerikaner die Gegend hier schließlich für den Atomkrieg vorgesehen hätten.

Aber zu diesem Aspekt liefert die Ausstellung und Grenzinszenierung so gut wie nichts. Sie präsentiert sich vielmehr in einer Ausgestaltung, als ob der Kalte Krieg noch immer gewonnen werden müsse. Martialische Schlachtpläne führen ausschließlich vom Osten tief in den Westen. Die Amerikaner erscheinen hier als harmlose Winzlinge in einem kleinen Beobachtungsposten, in dessen Gelände sie noch nicht mal mit einem Panzer hätten bis zum Zaun fahren dürfen. Daher hätten sie sich vorrangig ums Aufziehen ihrer Fahne gekümmert und diese verbrannt, sobald sie mal (versehentlich) in den Dreck gefallen war.

Focus 30 aus 1994

Hier tobt der (russische) Bär: Ein Schlachtplan, mit dem noch 1994, 5 Jahre nach dem Fall der Mauer, das Krawallmagazin „Focus“ seine Leser auf die „rote Gefahr“ einzuschwören suchte. Damals noch Chefredakteur: mein widerlichster Darmstädter Reaktionär und Kotzbrocken, Helmut Markworth (siehe auch den schönen Satz, den SZ-Redakteur Hans Leyendecker für Markworth findet – zitiert bei Wikipedia).


Wie sahen hingegen die westlichen Strategien – vornehmlich die atomaren – gegen die angeblich drohende Invasion aus dem Osten aus? Da herrscht in diesem Dokumentationszentrum Fehlanzeige, konkret z.B. bei der „Nachrüstung“ der Pershing-Raketen, die damals den Sturm der Friedensbewegung herausgefordert hatte. Diese Friedensbewegung fand leider schon vor „dem Internet“ statt und hat daher in diesem Internet als der heute ultimativen Quelle allen Wissens ebenso wenig Spuren hinterlassen, wie in diesem „Point Alpha“.

Nehmen wir nur die Infotafel zur „Point Alpha Gedenkstätte“ am Eingang: Jeder Wechsel und jede Umorganisation der amerikanischen Point-Alpha-Truppe wird hier in einer Historie von 1945 bis 2005 aufgelistet, eingemengt findet sich aber auch diese Notiz:

1984: Am 30. September bildeten rund 800 Personen an den drei, der Grenze abgewandten, Seiten des OP Alpha eine Menschenkette und beendeten damit den „Aktionsherbst 84" der Friedensbewegung.

Der im ZEIT-Artikel von Christoph Dieckmann zitierte Aktivist der Friedensbewegung aus Fulda, Professor Peter Krahulec, erinnert sich hingegen an

...die Hessische Friedenskette im September 1984 mit 300.000 Menschen zwischen Point Alpha und Fuldaer Dom“.

Was für ein gewaltiger Unterschied, wie er schon in diesen zwei Zahlen und den zwei räumlichen Andeutungen aufscheint! Da würde man heute gerne mehr wissen, doch die Quellen sind überaus rar.

Wie Krahulec erinnere ich mich an meine Jugend in Nordhessen, als wir auf Ausflügen in die grenznahen Mittelgebirge immer wieder auf Galerien von „Kanaldeckeln“ in den Straßen durch die Wälder stießen. Hier waren aber keine Kanalisationen vergraben. Es handelte sich um Sprengschächte, aus denen im Kriegsfall die Region  in die Luft gesprengt worden wäre – unterschiedslos russische Panzer und flüchtende Zivilbevölkerung treffend. Auch von diesen Szenarien ist in „Point Alpha“ nichts dokumentiert.