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Xanthos

Das ist ein Name, der aus dem Dunkel der Frühgeschichte im mykenisch kolonisierten mediterranen Raum auftaucht, sich vielfach in der Ilias findet und bis in die griechische Antike hinein verwendet wurde – als Name von Personen, von Pferden oder auch von Flüssen (breite Übersicht bei Wikipedia). Das griechische Ξάνθος bezeichnet eine blasse gelblich-braune Farbe. Über das Merkmal blonder Haare wird es zum Namen von Personen, zum Namen von „falb“ gefärbten Pferden oder auch von Gewässern, die durch ihre Trübstoff- und Schlammfracht gelblichbraun getönt sind. Diese generische Ableitung macht den Namen erst einmal unabhängig von räumlichen Zuordnungen – eröffnet somit aber auch allerlei Möglichkeiten der Interpretation.

Den bekanntesten Xanthos-Fluss lokalisiert die Antike im kleinasiatischen Lykien, wo zudem kurz vor seiner Mündung eine gleichnamige Stadt lag. Heute heißt dieser Fluss – je nach Quelle – „Koca Çayı“ (Artemis 1986, S. 55 ff) oder auch „Dalaman Çayı“ (OSM), ist also wegen Çayı = „Bach“ nicht gerade ein Strom. Auch die Ruinen der antiken Stadt „Xanthos“ sind zwar noch zu finden, ihr Name hat sich aber nicht in die Ortsnamen an der „türkischen Reviera“ zwischen den modernen Städten Fethiye und Antalya hinübergerettet (Geoposition der bronzezeitlichen Stadt Xanthos östlich oberhalb des Flusses. Angesichts der vorgelagerten weiten flachen Ebene lag diese Stadt damals womöglich wesentlich küstennäher. Zu dieser Stadt Xanthos gibt es auch einen Wikipedia-Eintrag).

Bäche und Ströme in der Troas und in Kilikien

Von Homer wissen wir, dass aus diesem Lykien ein kampfeskräftiger König namens Sarpedon den Troianern als Bundesgenosse in ihrem Krieg gegen die Achaier zur Seite gestanden haben soll (Ilias II.876 f):

Und Sarpedon führte die Lykier und der Held Glaukos
Fern aus Lykien her von den wirbelnden Fluten des Xanthos.

Und schon wird es verwirrend: Denn dieser Sarpedon und seine Krieger vom lykischen Xanthos kämpften mit den Troianern wieder an einem Xanthos, aber einem anderen. Denn so sollen die Götter ebenso jenen Strom genannt haben, der durch die Ebene vor Troia geflossen sei.

Gemeinhin ist dieser Fluss als Skamandros (eingedeutscht „Skamander“) bekannt. Homer informiert uns in seiner Ilias aber erst sehr spät – erst gegen Ende des Epos im 20. Gesang – und eher beiläufig über eine Identität von Skamandros und Xanthos, wo er die große Schlacht der Götter in der Ebene von Troia beschreibt (XX.74-76):

Leto trat entgegen der Retter, der eilende Hermes,
Dem Hephaistos entgegen der große Strom mit den tiefen
Wirbeln, den Xanthos die Götter nennen, die Menschen Skamandros.

Es braucht schon einige Phantasie, jenes Gewässer in der Ebene von Troia/Hisarlik als „großen Strom mit tiefen Wirbeln“ anzusehen. Das Xanthos-Merkmal intensiver ‚gelblich-brauner‘ Sedimentfracht ist zwar gegeben. Denn in den letzten gut 3.000 Jahren seit dem Troianischen Krieg hat dieser Skamandros die seinerzeit noch tief einbuchtende Küstenlinie an die 3 km nach Norden zu den Dardanellen verschoben – immerhin eine Verlandungsgeschwindigkeit von 1 m/Jahr (Kayan 2006 in Abb. 1):

Doch einen „Strom“ wird man in diesem, heute (Karamenderes) Çayı = „Bach“ genannten Gewässer (Höhfeld 2009, Anlagekarte) kaum sehen können.

Noch schwieriger werden die Zuordnungen, wenn auch der zweite Homer’sche Strom – der Simóeis – mit in die Betrachtung genommen wird. Er soll ja immerhin die Geografie des Schlachtengeländes um das historische Troia mitgeprägt haben (Ilias VI.2-4.):

Vielfach hier- und dorthin ging der Kampf in der Ebne,
Lenkten sie gegeneinander die erzbeschlagenen Speere,
Mitten zwischen den Strömen des Xanthos und des Simoeis.

Die Lage eines griechisch-troianischen Schlachtfeldes „zwischen“ zwei Strömen lässt sich in der Troas an den Dardanellen nun gar nicht mehr sondieren. Als „Simóeis“ identifizieren die Parteigänger einer Verortung von Homers Schlachtfeldbeschreibung in der Troas den heute Dümrek genannten Bach, der von Osten dem Karamenderes Çayı zustrebt (und von Höhfeld 2009 nur als recht bedeutungsloses „Dönemsel Sular“ = temporäres Gewässer eingeordnet wird). Auch in den historischen Küstenlinien bleibt kaum Raum, wo man sich im Sumpfgelände zwischen Skamandros und dem ihm zufließenden Dümrek (Simóeis) ein Schlachtfeld vorstellen könnte. Von einem Simóeis-„Strom“ ganz zu schweigen.

Und so ist es eins der plausibleren Argumente für Raoul Schrotts ‚Kilikien-These‘, wenn er als ‚Anschauungsmaterial‘, das dem Dichter Homer zur Beschreibung seiner Flusslandschaften gedient haben mag, Gewässer in der Ebene von Kilikien heranzieht (Homers Heimat 2008, S. 56 – mit dem Hinweis, das die Verfestigung einer Lokalisierung des Skamandros in der Troas erst mit Strabon einherging). In Kilikien gibt es in der Tat Gewässer, die man „Ströme“ nennen kann (Abb. 2), und zudem gleich zwei besondere, die in historischen Karten „Saros“ und „Pyramos“ genannt werden:

Südost-Anatolien im 1.0 bis 7. Jahrhundert v.u.Z

Abb. 2: Ausschnitt aus Pauly 2012 S. 39: Anatolien vom 10. bis 7. Jh v.u.Z.. Von den „historischen Flüssen“ Kilikiens sind explizit die beiden Hauptgewässer des Saros (südlich von Tarsus) und des Pyramos (östlich von Azatiwataja) markiert.

 

Saros und Pyramos, die heute Seyhan und Ceyhan heißen, entspringen im östlichen Zentralanatolien, durchqueren das Taurusgebirge nach Süden und strömen durch das „Ebene Kilikien“ zum Mittelmeer, wo sie sich südlich von Adana auf 15 km nahekommen. Zwischen ihnen wäre hier somit Platz genug für ein Schlachtfeld, in dem auf jeder Seite zehntausende von Soldaten aufeinandergetroffen sein sollen. Beide Gewässer transportieren reichlich Sedimente und sind in ihren mäandrierenden Endabschnitten jeweils um die 100 m breit – was man schon „Strom“ nennen kann.

Soweit, so eindrucksvoll. Doch nun verfällt Raoul Schrott in seine (bei genauerem Hinsehen häufiger zu entdeckende) Schludrigkeit: Er nimmt noch einen dritten Fluss in die Betrachtung auf, der aus dem westlichen Taurus nach Osten in die kilikische Ebene fließt und dort durch Tarsus hindurch das Meer erreicht. Schrott nennt als dessen historischen Namen Kydnos. OSM benennt ihn heute „Berdan Çayı“, Google Maps benennt ihn – wie dort immer wieder zu beanstanden – gar nicht (stellt ihn noch nicht einmal dar) und sonstige Karten der Türkei halten allenfalls den modernen Stausee im Verlauf dieses Flusses für wichtig.

Raoul Schrott bringt es nun fertig, in seinen Anlagekarten zu Homers Heimat 2008 (zwei Doppelseiten am Buchende S. 428 ff) die Zuordnung eines Ilias-Flusses zu historischen Flüssen in Kilikien gleich doppelt vorzunehmen (nicht überzeugende Diskusskon hierzu S. 60). Neben dem Saros, den er mit dem Simóeis identifiziert, ordnet er Xanthos/Skamandros in der einen Teilkarte (S. 428 f) dem Kydnos zu, in der anderen hingegen (S. 430 f) dem Pyramos. So ergibt sich die opulente Auswahlmöglichkeit, das troianische Schlachtfeld gleich zweimal in der Ebene Kilikiens ansiedeln zu können (Abb. 3):

Ströme Kilikiens, dazwischen mögliche Schlechtfeldorte

Abb. 3: Die drei Ströme in der kilikischen Ebene – (historisch:) Kydnos, Saros und Pyramos – ergeben zwei Möglichkeiten, zwischen ihnen ein achaiisch-troianisches Schlachtfeld zu verorten (Kartengrundlage: OSM, Flüsse und rezente Stauseen hervorgehoben). Rechts oben die Lokalisierung der Festung Karatepe, aus Raoul Schrotts Sicht Homers Anschauung für die Beschreibung der Burg von Troia.

 

Solche Ambivalenz oder auch Offenheit in den Lokalisierungsmöglichkeiten wäre nicht weiter schlimm, weil sie die Hypothese selbst nicht in Frage stellt, wenn Schrott nicht in der einen Karte mit dem Kydnos als Skamander auch den Saros in den westlichen Taurus umbiegen würde (vgl. vorausgreifend: Ein möglicher Ort des achaiischen Schiffslagers, ferner hier Abb. 1 unten), so dass er von dort schön parallel zum Kydnos herangeflossen kommt, während in der anderen Karte der Saros (nur so korrekt) von Norden und ungefähr parallel zum Pyramos nach Süden strömt. Leider ist Kilikien bislang – soweit mir bekannt – kein Gegenstand geoarchäologischer Forschungen gewesen. Für einen historischen Verlauf des Saros aus dem westlichen Taurus heraus gibt es daher keinen Beleg. Schrott nennt noch nicht einmal Quellennachweise für seine beiden, auch in weiteren Details widersprüchlichen Karten am Buchende. Dazu heißt es auf S. 427 lediglich: „Verzeichnis der Karten ... S. 428-431: Kilikien“.

 

Inhaltlich schließt sich an diese Seite der Artikel Vernichtung der achaiischen Mauer an.