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Die ersten Nuraghen

Der Bruncu Maduli als Prototyp der Protonuraghen

Bruncu Maduli – oder auch „Bruncu 'e Màduli di Gesturi“ (archäologische Literatur), bzw. „Bruncu Màdugui“ (auf dem Eingangsschild am Beginn des Zuweges) – ist ein sogenannter „Protonuraghe“, d.h. ein sehr früher, „erster“ Typ sardischer Nuraghenbauten, die sich später in ihrer Form noch stark wandeln sollten (von gr. πρωτος  = erster). Auf der Grundlage einer C14-Datierung eines Stückchen Korks, das Giovanni Lilliu in seinen Steinmassen gefunden hat, wurde er auf 1.800 v.u.Z. datiert. Das ist aber eine sehr wacklige Einordnung, denn gefundene Tonscherben hat man (ohne nähere Angabe einer Datierungstechnik) erst in einer Zeit ab 300 Jahre später eingeordnet. Anhaltspunkte für das hinter dem Nuraghen auf der Hochfläche entstandene Dorf deuten auf noch spätere Jahrhunderte hin.

Doch es reicht, in diesem Nuraghen eine Urform jener Bauten zu sehen, die sich später in präzise Turmformen oder Agglomerationen von Türmen weiterentwickelten, um an dieser Urform ein paar prägende Charakteristika zu studieren, die uns vielleicht nähere Auskunft über die Absicht vermitteln können, mit der diese Bauten von den Menschen der Bronzezeit errichtet wurden.

Der Bruncu Maduli liegt auf der Plateaukante an der äußersten südöstlichen ‚Nase‘ der Giara di Gesturi (Abb. 1). Im Satellitenbild, das Höhenabwicklungen nicht darstellen kann, wird der steile Plateauhang durch die wesentlich dichtere Baumvegetation erkennbar und am unteren (südlichen) sowie ein Stück weit auch am rechten (östlichen) Rand ergänzend durch eine Mauer akzentuiert. Diese Mauer macht dann einen Bogen um einen Wendehammer, in dem die breite, mit Basaltblöcken  gepflasterte Zufahrtsstraße von Norden her endet. Hier hatte man offenbar Größeres vor – mit Bussen vorfahren oder was auch immer. Der rund 500 m lange Zuweg ab Parkplatz am Ende der Auffahrt Gesturi ist heute jedoch nur für Fußgänger zugänglich – was auch völlig ausreicht und dem Ort seine Ruhe lässt.

Bruncu Maduli in Google Earth-Sicht

Abb. 1: Google Earth-Satellitenbild des Nuraghen Bruncu Maduli (rechts unten) am südöstlichsten Eck der Giara di Gesturi, mit Ummauerung des Geländes unten und rechts an der dicht bewaldeten Plateaukante,. Zugangsstraße zum Wendehammer von oben rechts, Reste der nuraghischen Siedlung links daneben in der oberen Bildmitte.

 

Westlich vom Wendehammer (vgl. Abb. 1) liegt zunächst ein im Luftbild besonders gut erkennbares Rundhaus mit rechteckigem Vorhof und Andeutung des Dachaufbaus, bei dem es sich aber um eine Rekonstruktion handelt. Ein solch rechteckiger Vorhof ist ansonsten im Gelände nicht zu finden und wurde eher dem sogenannten „Antentempel“ in Santa Vittoria nachempfunden (vgl. meinen Führer durch die Anlage auf der Giara die Serri, dort Kapitel 5).

Es folgt unmittelbar im westlichen Anschluss die am besten erhaltene Siedlungsgruppe (isolato) A, südwestlich davon sind noch Rundhausreste der Siedlungsgruppe B zu erkennen. Die von den Archäologen identifizierten weiteren Siedlungskomplexe E bis I lassen sich im Gelände nicht mehr ausmachen (grob lokalisiert im Katalog der Ausstellung „L’Isola delli Torri“, S. 233).

Der Nuraghe – am Plateaurand diesen Siedlungsgruppen mit gehörigem Abstand vorgelagert – hat eine sehr eigentümliche Form, die noch gar nicht zu dem erst später herausentwickelten, als Nuraghen-typisch angesehenen Turmrund gefunden hat. Nicht einmal die auf der örtlichen Infotafel bemühte Metapher „Nierenform“ passt, denn eine Niere hat ihre Blutgefäß- und Harnleiteranschlüsse an der leicht nach innen gebogenen Seite, der Nuraghe zeigt hingegen an dieser dem Plateau zugewandten leicht eingebuchteten Seite eine geschlossene und aus besonders mächtigen Basaltblöcken gemauerte Front. Sein einziger wirklich erkennbarer Eingang liegt in Richtung 7 Uhr in einer leichten Einbuchtung der Südfront, also dem Steilhang nach ‚außen‘ zugewandt (Ansichten in der Bildergalerie am Schluss). Wobei die Vorstellung eines echten „Eingangs“ ebenfalls in die Irre führt. Hier wurde eher ein Treppenaufgang gemauert, über den sich die seitlichen Wände aus wiederum großen Basaltbrocken leicht zusammenneigen. Vielleicht gab es hier sogar einmal eine geschlossene torartige Überwölbung, wie sie noch über einer tiefen Nische erhalten geblieben ist, die auf halber Treppenlänge nach rechts abzweigt.

Interkultureller Querverweis

Eine solche im Eingangsbereich etwas zurückgesetzte Nische (in Abb. 3 mit C bezeichnet, Ansichten in der Bildergalerie am Schluss) ist ein typisches bauliches Element in solchen ummauerten bronzezeitlichen Anlagen, das sich auch außerhalb Sardiniens auf dem benachbarten Korsika findet – etwa in der sogenannten „Torreanerfestung“ Arragiu (Abb. 2; mehr zu diesen Parallelen im Führer für einen Rundgang über die Giara di Serri mit dem „Brunnenheiligtum“)

 

Über die Eingangstreppe mit Nische ersteigt man das ‚Innere‘ des Nuraghen. Er stellt sich vor allem als großer Steinhaufen dar, wobei als Füllsteine innerhalb der aus mächtigeren Blöcken erstellten Außenwände kleinere Basaltbrocken Verwendung fanden. Vielleicht gab es auf diesem Niveau, an dem der überwölbte Treppenaufgang endet, noch eine gewisse Binnenstruktur. Die Archäologen wollen zwei Rundräume identifiziert haben, die sich bei einiger Phantasie noch an gewissen Steinanordnungen ablesen lassen (vgl. die Grundrisszeichnung aus der örtlichen Infotafel in Abb. 3). Jedenfalls fällt weiter östlich eine eher rechteckige, von größeren Steinen eingeschlossene kleinere Fläche auf. In diesem südöstlichen Bereich ist der Nuraghe allerdings besonders stark zerstört, weil sich sein Steinmaterial den Hang hinab ergossen hat. Deshalb muss die Rekonstruktionsidee eine Vermutung bleiben, dass es auch hier – wie im Südwesten – einen Ein- bzw. Aufstieg gegeben hatte, der womöglich in jener Rechteckfläche endete.

Die mit allerlei Phantasie auch auf der Infotafel vor Ort dargestellten Rekonstruktionen zeugen vor allem vom Bestreben der Autoren, dem Nuraghen irgendeine nutzbare innere Struktur von Räumen zu geben. Dabei ist genau dies besonders fraglich:

Der Nuraghe nimmt in seiner eher amoprh gerundeten Form die ebenfalls amorph gerundete ‚Nase‘ des Basaltplateaus auf, er markiert also diese markant vorspringende Plateau-‚Ecke‘durch einen mächtigen Steinhaufen, umschlossen von einer gut gefügten, zur Sicherung der Stabilität leicht schrägen Mauer aus besonders großen Basaltblöcken. Damit dient er keinem Zweck, hat keine spezielle Nutzenfunktion, sondern ist ein sich durch seine Existenz definierendes Monument kultureller Leistung jener Menschen der frühen Nuraghengesellschaft.

Diese von Menschen errichtete markante Überhöhung des Naturmonuments der Giara konnte über einen südwestlichen Treppenaufgang bestiegen werden (vielleicht auch über ein weiteres südöstliches Pendant). Der Nuraghe hat sich somit jenen Menschen geöffnet, die von unten den Steilhang heraufkamen und dabei das Monument im Blick hatten. Dies unterstreicht im Übrigen, dass der Nuraghe keine militärische Funktion etwa zur Verteidigung des Plateaus hatte. Vielleicht diente die im inneren vermutete Struktur sodann kultischen Zwecken – etwa  dass die ihn betretenden Menschen dort ein Opfer bringen bzw. ablegen konnten. Vor allem aber war dieser Nuraghe eine die Örtlichkeit passend markierende, weithin sichtbare, von Menschen errichtete Landmarke, jedoch kein Gebäude, dessen Mauern nutzbare Innenräume umschließen mussten.

Für praktische Nutzungen entstand (ggf. erst einige Zeit später) das dem Plateaurand-Nuraghen nachgelagerte Dorf. Die am besten erhaltene Agglomeration (isolato) unter den 9 Gruppen, die Archäologen zu identifizieren glaubten und die deshalb den Kenner „A“ erhalten hat, wird in ihrem Grundriss von Abb. 4 wiedergegeben. Die Quellen nehmen keine Nummerierung der einzelnen Räume bzw. Rundhäuser vor, so dass ich in Abb. 4 eine Nummerierung im Uhrzeigersinn vergeben habe.

Man erkennt die typische nach außen durch Mauern abgesicherte Gruppierung von Rundhäusern um eine interne Erschließung, die sich hier in zwei Höfe aufteilt. Die Rundhäuser am rechten Hof (1, 2, 3 und 6) schließen sich nach außen durch gerade Verbindungsmauern ab, die Rundhäuser am linken Hof (8, 10, 12 und 13) hingegen durch Mauerbögen (um 9 und 11). Eine sehr ähnlich konstruierte Rundhausgruppe – dort ebenfalls im Westen mit einem solch drittelkreisförmigen Hofabschluss wie in 9 und 11 – findet sich im sogenannten „Wohnbereich“ vor dem „Brunnenheiligtum auf der Giara die Serri (vgl. meinen Führer für einen Rundgang).

Die gerade Trennmauer im linken Hof ist wohl erst später entstanden. Lediglich die zwei Rundhäuser 4 und 5 fügen sich nicht in das introvertierte Konzept einer Erschließung der Rundhäuser über einen inneren Hof, weil sie jeweils einen Zugang von außerhalb der Gesamtanlage haben, so dass man an eine Nutzung „Gästehäuser“ – oder auch „Wächterhäuser“ – denken könnte. Zudem enthält Nummer 4 – anders als alle anderen Rundhäuser – eine niedrige Steinreihe vor der Wand, die an eine rundum laufende Sitzbank denken lässt. Derartige Sitzbänke sind in den auf ‚öffentliche‘ Nutzungen konzipierten großen Rundhäusern der Versammlungsstätte „Santa Vittoria“ auf der Serri-Hochfläche mehrfach zu finden (Link wie vor).

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Bildergalerie zur Begehung des Nuraghen