Armes Treysa!

Welchen Wert hat schon eine Wiera aus der Sicht von Autobahnbauern?

Aus der Sicht meines Wohnorts Darmstadt ist jede Stadt zu beneiden, die einen Fluss hat. Denn Darmstadt ist so ziemlich die einzige Großstadt in Deutschland, der ein Fluss fehlt.

Und wie geht die Stadt meiner Kindheit, das nordhessische Treysa (heute Schwalmstadt bzw. auf den Verkehrsschildern „Schw.-Treysa“, nachdem die Erstbeschriftung „Sch.-Treysa“ zu Missverständnissen führte) am Zusammenfluss gar zweier Flüsse mit ihrem Zweitfluss (neben der Schwalm) um? Es handelt sich eher um einen Bach, die „Wiera“, immerhin gefühlte zehn Mal so breit wie der Darmbach, dessen fast einzige Bedeutung darin bestand, der Stadt ihren Stoffwechselorgan-Namen zu geben. In Darmstadt verschwindet der Darmbach schon vor Erreichen der Stadt (metaphorisch durchaus passend) alsbald in der Kanalisation. In Treysa hat man offenbar ähnliches vor (das durch die Wiera benamte Dorf ist ja ohnehin bereits durchflossen, sozusagen erledigt).

Gerade innerhalb einer Stadt kann ein Gewässer hochattraktiv eingebunden werden, als stadtbildprägender Grünzug. Mit der Schwalm (dem Fluss) hat man das bereits mehr oder weniger vermurkst. Nun missachtet Treysa auch noch die Wiera, verroh(r)t und betoniert sie, überlagert sie mit Asphalt und Beton, Parkplätzen, Supermärkten, Straßen ... Chaos. Dass es so etwas wie „Stadtplanung“ gibt, ist hierher offensichtlich nicht vorgedrungen.

Die Autobahnbauer der A 49, die ohne jede Rücksicht auf die hügelige Topografie der Schwalm ihre Fernstraße durch die ländliche Idylle schlagen, geben auch innerstädtisch den Ton an. Da auf (un)absehbare Zeit der Weiterbau der von Kassel kommenden A 49 nordwestlich von Treysa enden wird, muss der dann bis hierher geführte Verkehr irgendwohin abgeleitet werden. Ein neues Straßensystem leitet ihn ins Wieratal, nach Treysa hinein, durch Treysa hindurch, hinüber nach Ziegenhain und von dort weiter nach Alsfeld auf die A 5. Irgendwelche Investoren finden diese heranbrandenden Automassen offenbar attraktiv und planen in der ehemaligen Wiera-Aue von Treysa ein riesiges Einkaufszentrum, das die vorhandene kleinteilige Geschäftswelt vollends erdrücken wird.

Unten nach der Lokalisierung auf OpenStreetMap das Resultat einer Besichtigung im September 2013.

Lokalisierungen

In der OpenStreetMap-Karte sind drei Orte markiert: die Abriss- und Supermarktbebauungsflächen hinter der Bahnhofstraße im 'Wieragrund' sowie die beiden Tunnelmünder der im Bau begriffenen A 49 unterhalb von Frankenhain. Die Marker können angeklickt werden, dann öffnet sich ein Info-Dialog.