Zur Deutung der Wandmalereien im minoischen Akrotiri auf Thera
Übersicht über Bildergalerien auf dieser Seite
- 1. Xeste 3, Erdgeschoss - Initiation junger Frauen
- 2. Xeste 3, Obergeschoss Safransammlerinnen huldigen der Göttin
- 3. Rekonstruktion des ‚Room of the Ladies‘
Ungefähr im Jahr 1.600 v.u.Z. ereignete sich auf der Insel Thera (Santorin) am südlichen Rand der Kykladen ein gewaltiger Vulkanausbruch. Geschätzte 36 Kubikkilometer Bims, Aschen und vulkanischen Bomben wurden herausgeschleudert und bedeckten danach das Umfeld mit zig Meter dicken Ablagerungen, die noch über Kreta hinweg bis nach Ägypten verweht wurden.
Unter dieser Decke vulkanischen Materials wurde auf der Insel mindestens eine Siedlung begraben. Die Bewohner waren zwar durch vorangehende Erdbeben vorgewarnt, so dass sie die Siedlung rechtzeitig räumen konnten. Doch die Ausstattung der Gebäude und insbesondere ihre kostbaren Wandmalereien blieben (fragmentarisch) erhalten und geben heute nach partiellen Ausgrabungen und mühsamer Rekonstruktion Aufschluss über das Leben vor 3.600 Jahren im minoischen Kulturraum der Kykladen.
Die sorgsam und detailliert gemalten Bilder zeigen eine faszinierende und geheimnisvolle Welt. Vordergründig könnte man annehmen, es habe sich bei diesen Malereien um luxuriöse Raumausstattung vermögender Hausbesitzer gehandelt. Doch dem war nicht so. Vielmehr treten bei näherer Betrachtung vornehmlich kultische Motive in den Vordergrund, die es zu entschlüsseln gilt.
Diese Webseite bietet einen Einstieg in diese Entschlüsselung an Hand ausgewählter Wandmalereien in zwei Gebäuden, deren Lage sich aus Abb. 1 ergibt – „Xeste 3“ (unten links, hellrot) und „Haus der Frauen“ (oben, lila):
Abb. 1: Systematisierung der ausgegrabenen Bauten des minoischen Akrotiri auf Thera in den Konturen des neuen Schutzbaus (braune Linie), der über dem Areal errichtet wurde (Eröffnung im März 2012). Das Gelände fällt von oben (Norden) nach unten Richtung Küste ab. Es ist zudem von links (Westen) nach rechts in ein kleines Tal geneigt, in dem ein neuzeitlicher Bach Zerstörungen, aber auch den Aufschluss dieser Siedlung bewirkt hat.
Xeste 3
Die Ausgräber von Akrotiri um den griechischen Archäologen Spyridon Marinatos haben große Gebäude in der minoischen Siedlung, deren Wände aus behauenen Steinquadern errichtet worden waren, „Xeste“ genannt (nach dem griechischen Begriff Ξεστη für „glätten/behauen“). Xeste 1 findet sich nicht mehr im Plan von Abb. 1, weil sich im Zuge der Ausgrabungen eine abweichende Baustruktur herausgestellt hatte. Ursprünglich war der Nordteil von Sektor Δ so benannt worden.
Herausgehoben in Hafennähe positioniert, östlich von drei kleinen Plätzen umgeben und an der zentralen Nord-Süd-Wegeverbindung im Ort gelegen (vgl. Abb. 1) hatte das dreigeschossige Gebäude „Xeste 3“ schon städtebaulich eine besondere Stellung. Es handelt sich zwar nicht um einen Tempel (solche Gebäude gab es damals noch nicht), doch seine östliche Hälfte hatte fraglos kultisch sakrale Funktion (Abb. 2).
Abb. 2: Grundriss von Xeste 3, farblich unterschieden in den östlichen kultisch genutzten Bereich (blaugrau unterlegt) und den mit Wirtschafts- und Vorratsräumen ausgestatteten westlichen Bereich (hellbraun unterlegt), Nummerierung der Räume durch die Archäologen. Raum 3 war der sakrale Kernbereich, im Erdgeschoss gegliedert durch eine plattierte Antrittsfläche, einen Bereich für Männer (links) sowie einen Bereich für Frauen mit Abstieg zu einem „Lustralbecken“ (nördlich). Die Raumverbindungen bzw. Abtrennungen wurden durch Polythora gebildet: Raumteiler aus Türfolgen mit wanddicken Laibungen (gelb hervorgehoben)
Erdgeschoss, kultischer Kernraum für Frauen im nordöstlichen Teil des Gebäudes, Abstieg zum ‚Lustralbecken‘
Die kultisch genutzten Räume im Erdgeschoss dienten wahrscheinlich Ritualen, mit denen junge Männer und Frauen ins Erwachsenenleben geführt wurden.
Die jungen Frauen betraten das Gebäude durch den Hauseingang im Südosten und gelangten in den Treppenhausvorraum 5 mit seitlichen Sitzbänken. Es folgte der zentrale Saal 4, aus dem sie über einen vierteiligen Polythyron die plattierte Antrittsfläche in Raum 3 erreichten. Durch die linke von vier Türen eines weiteren Polythyron gelangten sie auf eine kurze Treppe, auf der sie sich nach 4 Stufen nach rechts zu einem ‚Lustralbecken‘ wendeten. Dabei wurden sie an der Nordwand durch Frauenbilder begleitet, ehe ihr Blick auf einen Altar gerichtet wurde, mit dem die Ostwand bemalt war.
Die nachfolgende Bildergalerie zeigt diese Bilderfolge an Nord- und Ostwand:
Kultbereich für Männer im westlichen Bereich von Raum 3
Der Frauenbereich um das ‚Lustralbecken‘ war ungleich kostbarer ausgemalt als der der Männer, der durch eine massive Wand vom Lustralbecken abgetrennt war und über einen weiteren Polythyron erreicht werden konnte. Die jungen Männer kamen wahrscheinlich über den ‚Hintereingang‘ aus dem Treppenhaus von Raum 8 (vgl. zu dessen Lage Abb. 2) durch einen plattierten Gang und konnten dann den Männerbereich entweder durch die linke oder die rechte der beiden anderen Polythyron-Türen betreten. Die Durchgänge unterschieden sich durch die Wandbilder, die sie beim Durchgang begleiteten: links ein Kind sowie ein junger Mann, beide mit geschorenem Kopf(blaugrau) und völlig unbekleidet, rechts ein etwas älterer Jugendlicher, der eine goldene Schale trägt (Abb. 3).
Abb. 3: Rekonstruktion des westlichen Teils von Raum 3 , Front zum Männerbereich, Ansicht von Osten / von der plattierten Antrittsfläche her, ohne Türen, lediglich mit den Laibungen des Polythyrons (braune vertikale Balken). Die Abtrennwand zwischen Lustralbecken-Abgang und Männerbereich war massiv aus Bruchsteinen gemauert, der restliche Teil der Abtrennung bestand aus einem dreiteiligen Polythyron, das links einen Zugang zum Treppenhaus von Raum 8 bot sowie zwei alternativ begehbare Türen. Jeder dieser Türen war ein mit einem Bild begleiteter Gang nachgeordnet, der auf ein Bild an der hinteren Wandfront hinführte, in dem ein erwachsener Mann einen Krug zum Ausgießen leicht kippt.
Die Dinge, die in diesem Raum geschahen, bleiben rätselhaft, ebenso die unterschiedlichen Rituale, die mit dem alternativen Zutrittsmöglichkeiten verbunden gewesen sein dürften. Während die Frauen in den Bildern um das Lustralbeckens kostbar gekleidet sind, bleiben die zutretenden männlichen Jugendlichen nackt, der Mann an der hinteren Frontseite trägt lediglich einen einfachen weißen minoischen Lendenschurz.
Obergeschoss, Großes Wandbild an Nord- und Ostwand mit Safran-Ernte und Safran-Opferung an die Göttin
Die beiden Obergeschosse von Xeste 3 sind nicht mehr erhalten, sondern bei dem heftigen Erdbeben, das dem Vulkanausbruch von 1600 v.u.Z. voranging, eingestürzt. Die Putze mit den Wandmalereien sind dabei herabgebrochen. Deren Bruchstücke konnten zum großen Teil bestimmten Wänden zugeordnet und fragmentarisch restauriert werden.
Man erreichte das Obergeschoss über das noch recht gut erhaltene Treppenhaus (Raum 5 in Abb. 2). Die Nord- und Ostwand von Raum 3 war mit der größten aus der prähistorischen Ägäis bekannten Wandmalerei bemalt. Sie zog sich – thematisch zusammenhängend – über beide Wände hin und maß knapp 7 m in der Breite und 2,40 m in der Höhe. Im Zentrum der Malerei thront eine Göttin auf einem gestuften Podestsystem und nimmt die Gabe von Safran entgegen, der auf den umliegenden Feldern von kostbar gekleideten jungen Frauen geerntet wurde. Diese Frauen haben offenbar den Initiationsritus durchlaufen, der sich im Stockwerk darunter am ‚Lustralbecken‘ vor dem Altar der Göttin vollzog.
Die jungen Frauen treten nicht direkt mit der Göttin in Kontakt. Die Safran-Opfergabe wird vielmehr von einem blauen Affen überreicht, der im minoischen Akrotiri eine besondere kultische Stellung gehabt hat.
Die nachfolgende Bildergalerie zeigt den Zusammenhang von Safran-Ernte und -Darreichung an die Göttin, der ein geflügeltes Wunderwesen zur Seite gestellt ist:
House of the Ladies
Dieses große freistehende Gebäude wurde von den Archäologen nach zwei Wandmalereien benannt, die Frauen in kultischen Rollen zeigen. Man erreicht es im nördlichen Teil des Ausgrabungsareals, wenn man die schmale Hauptgasse hinaufgeht (vgl. den Ausgrabungsplan in Abb. 1): ausgehend vom Platz östlich vor Xeste 3, zwischen den Sektoren Γ und Β hindurch, an Sektor Δ entlang, über den Dreiecksplatz vor dem Westhaus und an selbigem vorbei.
Die kultisch genutzten Räume in Xeste 3 hatten offenbar eine Funktion für den gesamten Ort und waren deshalb auch so exponiert im Ort und an seinen Plätzen gelegen. Demgegenüber kam dem „Raum der Frauen“ im danach genannten „Haus der Frauen“ eine sehr private Nutzung zu. Er wurde wohl allein von der Hausherrin genutzt, die hier im Innersten des großen Hauses bestimmte kultische Rituale vollzog.
Room of the Ladies im Zentrum des Hauses an der Nordwand, Obergeschoss
Auch zu diesem Raum gibt es große Unklarheiten – nicht nur zu den hier gepflegten Ritualen, sondern auch zur Rekonstruktion der Raumarchitektur und der Bemalung seiner Wände. Näheres – auch zum geheimnisvollen Untergeschoss dieses Raums mit dort ‚begrabenen‘ kultischen Geräten – ist in der ausführlichen PDF-Version dieses Beitrags nachzulesen (Link nach der folgenden Bildergalerie).
Die Rekonstruktion des „Room of the Ladies“ im Museum von Fira auf Santorin fällt leider mehr als problematisch aus. Die nachstehende Bildergalerie versucht demgegenüber eine authentischere Version:
Wesentlich mehr Details und Bilder sowie weitergehende Interpretationen finden sich in der PDF-Version zu diesem Thema: Zur Deutung der Wandmalereien im minoischen Akrotiri.