Der Eiserne Steg in Frankfurt
Gleich zum Essay im PDF-Format: Der Eiserne Steg in Frankfurt – Brücke in Homers Welt
War es jenes abscheuliche Plakat, das mich erst auf die Inschrift über dem Eisernen Steg in Frankfurt aufmerksam machte (in Abb. 1 verschwommen im Hintergrund oben rechts)? Das Plakat zeigt einen kräftigen Kerl mit Eintracht-Emblem auf der Kutte, der ein zierliches Mädchen mit zersplitterndem SV Darmstadt 98-Enblem auf dem Shirt an der Gurgel packt und ins Dunkle schleift, während seine Linke eine Axt schwingt. Dazu der Text: „Darmstadt vernichten! 06.12.2015 Alle auf die Straße Lilienschweine jagen“. Das seit 32 Jahren erste Bundesliga-Derby zwischen Darmstadt und Frankfurt hat Darmstadt daraufhin mit aller Berechtigung am 6. Dezember 2015 mit 1 : 0 gewonnen. Als Täter wurde bislang nur die Einzelperson eines jungen Grafikers ermittelt. Seitdem schweigt die Berichterstattung.
Widmen wir uns hier – ohne den Hassexzess Frankfurter „Fans“ zu vergessen – der Aufschrift über dem Eisernen Steg, die sich in der Abbildung nur schemenhaft rechts oben gegen den grauen Himmel abhebt und die einen fundamentalen Gegensatz zum Plakat transportiert:
Frankfurts Brücke in Homers Welt
Die Aufschrift über dem Eisernen Steg stammt von dem Künstler Hagen Bonifer, der sie dort zum 250 Geburtstag Goethes („Goethejahr 1999“) angebracht hat. Die dunkelroten (weinroten?) Buchstaben werden von einer transparenten Platte getragen und scheinen so im Himmel zu schweben. Ihr Text ist altgriechisch und lautet:
ΠΛΕΩΝ ΕΠΙ ΟΙΝΟΠΑ ΠΟΝΤΟΝ ΕΠ ΑΛΛΟΘΡΟΟΥΣ ΑΝΘΡΩΠΟΥΣ
Bonifer übersetzt dies auf seiner Website mit:
Auf weinfarbenem Meer segelnd zu anderssprachigen Menschen
Stellt man dies Zitat aus Homers Odyssee (1. Gesang, Vers 183 ff) in den Kontext nur zweier angrenzender Verse, so lautet die Aussage (in der Prosa-Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt):
Jetzt aber bin ich mit dem Schiff und den Gefährten hier angelaufen, denn ich fahre über das weinrote Meer zu Menschen anderer Zunge: nach Temesa, Erz zu holen und führe schimmerndes Eisen.
Das wirft allerlei Fragen auf:
- Zunächst die naheliegendste, die uns immer in den Sinn kommt, wenn wir die Arbeit eines Künstler nicht auf Anhieb verstehen – sie ist hier ausnahmsweise wortwörtlich zu nehmen: Was will uns Bonifer mit diesem Zitat sagen?
- Doch dann geht es weiter: Wer ist es, der hier spricht?
- Warum will jener Sprecher Erz gegen Eisen tauschen, wo doch das eine nur ein Gattungsmitglied des anderen ist?
- Wo lag jenes Temesa, das er als Ziel angibt?
- Und vor allem: warum ist das Meer „weinrot“?
Die letztere Frage wird noch geheimnisvoller, wenn man eine andere, sehr viel stärker verbreitete Übersetzung zugrundelegt, die von einem „weindunklen“ Meer spricht.
Je mehr ich über diese Fragen nachgedacht habe, desto mehr Bedeutungsschichten kamen zum Vorschein.
Ich habe deshalb die Antworten in eine separate PDF-Datei gefasst, die sich leichter ggf. auch im Papierausdruck lesen lässt: Der Eiserne Steg in Frankfurt – Brücke in Homers Welt.