Der Latacz
Der Basler Professor und Altphilologe Joachim Latacz hält sich für den Gralshüter der Homer-Kennerschaft. Wer ihm da in die Suppe spuckt, bekommt kräftig Dresche. So geschah es zunächst dem Gegner im Streit um die große Homer-Ausstellung des Jahres 2001, dem Tübinger Althistoriker Prof. Frank Kolb (vgl. Joachim Latacz, Troia und Homer – Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels, S. 35 ff). Kolb hinterfragte die These seines Tübinger Kollegen und langjährigen Leiters der Ausgrabungen in Troia, Manfred Korfmann, dass die Ausgrabungen in der Troas archäologisch die Homer’sche Geschichte vom troianischen Krieg stützen würden. Eine solche Gegenposition kann man vertreten (auch wenn ich sie hier nicht teilen will).
Die kritische Position Kolbs wird aber von Latacz nicht sachlich aufgegriffen, sondern psychologisierend unterwandert, mürbe gemacht und sodann infam vernichtet. Bei Kolbs Kritik handele es sich um „persönliche und inneruniversitäre Querelen“ (13). Kolb führe einen „Privatfeldzug ohne Rücksicht auf Pietät und Anstand“ in der „Pose des unerschrockenen Kämpfers für Recht und Wahrheit“ (16). Es sei ihm gelungen, „mit Hilfe eines kleinen Kreises von Abhängigen – ... einige wenige rhetorisch hypnotisierbare, gegen Etabliertes stets revoltierbereite Journalisten ohne eigene Urteilskompetenz“ zu gewinnen (35). Kolb ist für Latacz kein Professorenkollege, sondern so etwas wie ein geheimdienstlicher Agentenführer, denn das Kolb’sche Netzwerk „ vertraut auf die Langzeitwirkung des von seinen Agenten beständig injizierten Giftes“. Dies Gift habe – Latacz schwingt sich zur Empörung auf – sogar noch Wirkung, denn: „In Deutschland gibt man sich der Wirkung dieses Gifts zum Teil bis in die höchsten wissenschaftlichen und politischen Entscheidungsgremien allzuoft ... widerstandslos hin.“ (36) usw. usf. Verschwörung allerorten, wo sich doch nur ein Publizist selbst entlarvt. Es ist kaum zu glauben, aber so etwas wird tatsächlich in Buchdeckel gepackt und vertrieben.
Was dient Lakacz eigentlich als Legitimation für diese geradezu Homer’sche Orgie an Beschimpfungen? Es ist ein Projekt, genannt „Basler Kommentar“ zur Ilias, das sich seit Jahren durchs sukzessive Erscheinen schleppt, weil es für jeden der 24 Gesänge einen Doppelband von Text und Kommentar konzipiert. Schon der Einführungsband „Prolegomena“ (2002, bei De Gruyter 2009) kam mit seinen 258 Seiten zum stolzen Preis von 70 € auf den Mark. Und so geht das weiter, steigert sich gar noch im Preis (als nächstes kam der Sechste Gesang für 120 €). Damit entsteht ein Werk, das mögliches Wissen über Homer allen Interessenten im formalen Gewand einer Veröffentlichung faktisch entzieht. Denn dies Werk kann sich weder ein überdurchschnittlich interessierter, durchschnittlich betuchter Bildungseuropäer leisten, noch öffentliche Bibliotheken. So gibt es zum Beispiel in der „Wissenschaftsstadt Darmstadt“ keine einzige Bibliothek, die diesen „Basler Kommentar“ verfügbar und einsehbar hält.
Auf eine Suchabfrage in der Website des herausgebenden Verlags De Gruyter wurden dort im Juli 2013 lediglich (wohl noch unterhalb des tatsächlichen Veröffentlichungslevels) gelistet:
Band VI, 19. Gesang, Kommentar 2009
Band V, 9. Gesang, Kommentar 2015
Band VII, 22. Gesang, Kommentar 2014
Band III, 3. Gesang, Kommentar 2009
Band VIII, 24. Gesang, Kommentar 2010
Band IV, 6. Gesang, Kommentar 2008
Band V, 9. Gesang, Text und Übersetzung sowie Kommentar 2015
Die Prolegomena findet man nur auf gezielte gesonderte Suche. Sie sind auch in der dürftig gestalteten Gesamtübersicht nicht aufgeführt, in der „Prolegomena und ca. 15 Bände in 30 Faszikeln“ avisiert werden und im Übrigen die Gesänge 1 und 2 gelistet sind, die wiederum auf die Suchabfrage nicht erscheinen. Ob sich Herr Latacz auch die Albernheit mit den „Faszikeln“ (eigentlich ‚ungebundene Fragmente eines Buchs‘) ausgedacht hat?
Versucht jedoch jemand, Homer einem breiten Kreis von Interessenten zugänglich zu machen – wie es Raoul Schrott mit seiner Übersetzung und Kommentierung unternahm –, so toben Blitz und Donner aus dem Basler Homer-Olymp. Wie schon bei Kolb, ist da Herrn Latacz kein Instrument zu infam. Nehmen wir nur eines seiner Haupt-‚Argumente‘, mit dem er im Spiegel (12/2008, S. 125 - siehe Ausriss oben) die Publikationen von Raoul Schrott in einer breitesten Öffentlichkeit nach Absurdistan zu befördern trachtete:
Schrott hält Karatepe für das historische Troja. Aber was hätten die Griechen davon gehabt, einen Ort wie Karatepe im Binnenland Kilikiens anzugreifen“
Nun gut, dies „Argument“ kann natürlich nur bei einem Leser andocken, der eine gewisse Vorstellung von der Lage dieser Festung Karatepe hat. Für alle anderen: Sie liegt hinter der nordöstlichsten Bucht des Mittelmeers, dem Golf von Iskenderun, am Nordostrand der Ebene von Adana:
Wesentlich ist jedoch, dass Raoul Schrott diesen Schrott, er halte Karatepe für das historische Troia, nie behauptet hat. Natürlich weiß Schrott, dass das historische Troia an den Dardanellen lag. Doch diese Lokalität präsentierte sich zu Zeiten Homers allenfalls noch mit ein paar Gesteinstrümmern, die kaum Hinweise auf ihre intakte historische Gestalt gaben. Das dürfte auch dem Intellekt von Latacz noch zugänglich sein. Also hat sich der Dichter Homer – wie das alle Dichter tun – Objekte der Anschauung gesucht, die ihm im Detail geeignet schienen, um in seinem Epos die Festung im Detail nach deren Vorbild ausmalen zu können. Das ist die These von Schrott, der als eines der Anschauungsobjekte die kilikische Burg von Karatepe identifiziert (neben weiteren Festungsanlagen in diesem Raum).
Es ist davon auszugehen, dass auch Latacz diese Art zu dichten nicht völlig fremd sein kann, weil er Schrott über zwei Jahre hinweg bei dessen Übersetzungsarbeiten begleitet hat. Umso denunziatorischer ist dann aber die zitierte Behauptung, die einfach eine glatte Lüge in die Welt setzt ... in der Hoffnung, dass nach einer so vernichtenden Kritik durch einen angeblich Kompetenten niemand mehr bei Raoul Schrott selbst nachliest (über Latacz weiß man alsbald authentisch Bescheid, wenn man die oben stichpunktartig zitierten Ausführungen über Kolb liest).
Auch Latacz ist in jene Kaste europafixierter Wissenschaftlicher einzuordnen, denen der Gedanke an eine orientalische Verwurzelung „unserer“ europäischen Kultur ein Horror zu sein scheint. So steigt er doch in seine Homer- und Ilias-Präsentation tatsächlich so ein (Troia und Homer, S. 12):
Die ‚Ilias‘ ist das erste Literaturwerk Europas – in keiner anderen Sprache Europas gab es zu dieser frühen Zeit bereits Literatur – und sie ist bis heute das einzige Schriftwerk, das ausführlich vom Troianischen Krieg erzählt – jenem Krieg, der für die Griechen selbst nie Mythos, sondern faktisches Geschehen ihrer Frühgeschichte war.
Das zieht einem die Schuhe aus. Man weiß über Homer nahezu nichts. Doch er wird hier selbstverständlich als „europäischer Dichter“ einverleibt. Und der Maßstab „keine andere Sprache Europas“ unterschlägt doch glatt, dass es nicht-europäische Sprachen gab, in denen schon wesentlich früher ein wesentliches Werk der Weltliteratur verfasst wurde: das Gilgamesch-Epos (wohl zum Verdruss von Latacz ein orientalisches Werk und daher besser nicht in diesem Kontext zu nennen). Raoul Schrott hingegen nimmt dies Werk wahr (er hat es selbst schon einmal ins Deutsche übertragen) und sieht darin – wohl mit einiger Plausibilität – einen literarischen Vorläufer der Ilias.
Nun ja, was soll man auch von einem Autor halten, der nicht mal eine Tabelle von einer Grafik unterscheiden kann – alles was Latacz in seinen Publikationen so als Beiwerk hinzufügt – (meist simple Tabellen) ist bei ihm gleich eine „Grafik“, die den Autor höchstpersönlich als beeindruckenden Hersteller hervorhebt.