Alle Quellen zu den diversen Kilikien-Artikeln in diesem Website-Bereich – meist zitiert in Kapitälchen – sind auf einer besonderen Seite Literatur ausgewiesen.
Auf der Suche nach dem bronzezeitlichen Mallos
Der historische Kontext, der auch die Gründung von Mallos durch den Seher Mopsos umfasst, ist auf dieser Website ausführlich in einem Artikel über die Person des Mopsos beschrieben.
Und hier geht es zurück zur Kilikien-Übersicht.
Welch herrliche Stadt muss dies Mallos gewesen sein! Seine Geschichte soll in die Zeit nach dem troianischen Krieg zurückreichen, als der von der Ägäisküste Kleinasiens stammende Seher Mopsos weit in den Osten nach Kilikien gezogen war und hier neben seiner neuen kilikischen Hauptstadt Mopsuhestia auch die Stadt Mallos am Pyramos nebst ihrem Mittelmeerhafen Magarsos gründete (vgl. dazu den Mopsos-Artikel auf dieser Website). Später in hellenistischer Zeit kam vorbei, was Rang und Namen hatte: Alexander der Große selbst hielt sich hier mit seinem gesamten Heer auf und auch seine Nachfolger gaben ein (nicht immer friedliches) Stelldichein. Wikipedia weiß darüber hinaus noch zu berichten:
67 v. Chr. siedelte der römische Feldherr Pompeius in Mallos wie in anderen kilikischen Städten besiegte Piraten an. 260 n. Chr. wurde die Stadt von den Sassaniden erobert. Seit dem 4. Jahrhundert war Mallos Bischofssitz. Auch nach der arabischen Eroberung bestand die Stadt weiter. 963 wurde sie von Johannes Tzimiskes in Brand gesteckt und wurde verlassen, der Name ging wohl auf das benachbarte Magarsos über.
Von einer solchen Stadt der Bronzezeit, des Hellenismus, des Christentums und des Islam sollte doch zumindest eine Ruinenlandschaft zu finden sein. Wikipedia meint, für dies Mallos präzise Geokoordinaten nennen zu können (Geoposition auf OpenStreetMap). Doch wie tragfähig sind diese Informationen? Man sieht schnell: der Wikipedia-Geolink zeigt ins Wasser, nämlich in die Mitte des Pyramos-Flusses nordöstlich des Dörfchens Kızıltahta, nicht aber auf einen eigentlich auszuweisenden Siedlungshügel der historischen Stadt. Für das „benachbarte“ Magarsos gibt es keinen Geolink – nach anderen Informationen soll es über 20 km entfernt an der Küste gelegen haben, wo sich aber seine Spuren verlieren. Wie dann der Name ‚Mallos‘ auf ‚Magarsos‘ „übergegangen“ sein soll, ist nicht einmal logisch nachvollziehbar. Und echte Quellen werden für die angeblich so opulente Stadtgeschichte auch nicht ausgewiesen. Man hat wohl (auch) – ungenau und nicht als Quelle genannt – aus dem „Neuen Pauly“ abgeschrieben. Der sagt jedoch zur Lage dieser Stadt wesentlich vorsichtiger (Band 7, Spalte 780):
Die genaue Lokalisierung steht noch aus; sie wird aufgrund von Inschriften beim heutigen Kızıltahta und am Westufer des Pyramos vermutet.
In jüngeren Gebäuden neu verbaute alte Steine mit Inschriften liefern leider so gar keine Lokalisierung für deren Ursprungsort, wenn nicht weitere archäologische Spuren auf einen bestimmten Ort hindeuten. Also machten wir uns selbst auf die Suche nach dieser Stadt.
Die realen Örtlichkeiten in der kilikischen Ebene
Von Adana aus führt zum Ferienort Karataş an der Mittelmeerküste mit der D 815 eine jener überdimensionierten, vierspurig mit Mittelstreifen ausgebauten ‚modernen‘ Landstraßen gradlinig durch die kilikische Ebene nach Süden. Nach Durchfahren der beiden größeren, durch viele Handwerksbetriebe und Läden entlang der Straße sehr lebendig wirkenden Orte Doğankent und Solakis folgt der winzige Ort Gökçeli, hinter dem scharf links nach Osten abzuzweigen ist (vgl. Kartenskizzen in Abb. 1 sowie Abb. 6 am Ende dieses Artikels). Auch die nun bis Kızıltahta meist parallel zu Kanälen zu verfolgende lokale Straße ist – anders als die sonst schlaglochübersäten und zudem mit Fahrbahnschwellen angereicherten Dorfstraßen – noch gut ausgebaut.
Abb. 1: Die rote Linie markiert die Straße von der D 815 (Adana > Karataş) nach Kızıltahta am Pyramos (Ceyhan), beginnend am Abzweig südlich von Gökçeli (Google Maps-Kartengrundlage). Vgl. auch zur Gesamtübersicht die Karte in Abb. 6.
Man spürt den Reichtum der hiesigen, auf weiten Feldern betriebenen Landwirtschaft, deren dörfliches Zentrum Sirkenli nördlich tangiert wird. Doch zugleich ist die Gegend so arm wie flach: kein Feldgehölz (auch wenn die Google Maps-Karte etwas anderes suggeriert), kein Hügel, kein natürliches Gewässer bringt Abwechslung in den Blick. Endlos und schnurgerade ziehen sich die technischen Bewässerungssysteme durch die ebenso endlos aufeinander folgenden Felder. Wer um Himmels Willen soll denn auf die Idee gekommen sein, hier mehr zu bauen als ein paar Dörfer, gerade groß genug, um die Bewirtschaftung der angrenzenden Felder sicherzustellen? Aus welchem Grund also sollte man hier eine Stadt, zudem von historischer Bedeutung, errichtet haben?
In Kızıltahta (Luftbild der Ortslage in Abb. 2) parken wir unser Auto und spazieren nach Nordosten Richtung Pyramos-Fluss (heute Ceyhan). Die Landschaft ist – wie überall in dieser Ebene aus Schwemmböden der großen kilikischen Flüsse – fast eben.
Eine sanft geschwungene leichte Geländeerhöhung im Osten des Dorfs modifiziert diesen Eindruck nicht wirklich. Wikipedia behauptet aber: Zwischen dem modernen Dorf und dem Fluss liegt der Platz der antiken Siedlung auf einer Kuppe. Dieser Autor kann wohl kaum hier gewesen sein. Denn auch weiträumig um das Dorf herum gibt es keinen markanten Siedlungshügel, wie ihn eine vor über 3000 Jahren gegründete bedeutende Stadt hinterlassen haben müsste. Ebensowenig finden sich Scherben aus Töpferware auf den Äckern am Weg. Weit und breit auch keine „Reste eines kaiserzeitlichen Gebäudes“, die Der Neue Pauly erkannt haben will (Band 7, Spalte 780). Wir können daher nicht nachvollziehen, dass in diesem Raum jemals eine bedeutende Stadt gelegen haben soll, wie sie von Wikipedia beschrieben und vom Neuen Pauly hier etwas vorsichtiger vermutet wird.
Nördlich von Kızıltahta zeichnet sich zwar noch eine gewisse Erhebung in der Landschaft ab (lat = 36.768267, lon = 35.481897, Lage in Abb. 2). Sie stellt sich jedoch bei näherer Betrachtung nicht als Siedlungshügel, sondern als massive Kalkplatte dar, die als kaum wahrnehmbarer Ausläufer zu jenem Bergzug gehört, der sich von Mopsuhestia zur Küste herunterzieht. Die Kalkplattenkante wurde von einem früheren Pyramos-Verlauf als Prallhang herausmodelliert. Der frühere Flusslauf ist noch in einer Senke mit vernässten Flächen und gesäumt von Eukalyptusbäumen erkennbar. Heute steht auf der Erhebung ein Betrieb mit Silos und einem seltsamen Turm (Abb. 3). Dennoch hat auch auf diesem Hügel ein unbekannter Archäologe gegraben und unter drei Metern Sediment ein Loch entdeckt. Hild Hellenkemper halten das allerdings für die Nekropole von Mallos (Band 1, S. 337)
Die sogenannte ‚römische Brücke‘ bei Kızıltahta
Das einzige Objekt mit archäologischer Relevanz, das sich in dieser Gegend finden lässt, ist das Fragment einer (laut Neuem Pauly) römischen Brücke nordöstlich von Kızıltahta, die den Pyramos noch zur Hälfte überspannt (genau auf deren Ende im Fluss zeigt i.Ü. der Wikipedia-Geolink für „Mallos“). Der in sich abgeknickte Zulauf über fünf große und einen kleinen Spitzbogen mündet in einem zweigeschossigen kastenartigen Bau, dessen Obergeschoss auf beiden Seiten mit je sieben schmalen rechteckigen Fenstern versehen ist, die sich nach innen in Rundbogennischen weiten (Abb. 4). Dies aus präzise geglätteten Quadern wie ein Palast gemauerte Bauwerk endet kopfseitig zur Flussmitte mit einer Wand, die ebenfalls mit zwei derartigen Fenstern ausgestattet wurde. Eine Zwischendecke fehlt, deren Auflager sind aber mit einem Versatz der schmaleren Obergeschoss- auf den breiteren Untergeschosswänden gegeben. Unten im Wasser finden sich Reste von Wasserkraftnutzung aus jüngerer Zeit (Betonfundamente, Eisenzahnräder, Stahlnabe).
Die Abschlusswand zur Flussmitte schließt praktisch eine Nutzung des Bauwerks als Brücke über den Fluss aus, so dass sich fragen lässt, ob diese ‚Brücke‘ jemals bis zum anderen Pyramos-Ufer reichte. Wie die uferseitig aus dem Obergeschoss herausragenden Steine zeigen, war es womöglich auch hier einmal geschlossen.
Dass hier keine Infotafel steht, die über Funktion und Geschichte dieses Bauwerks informiert, überrascht uns nicht mehr. Solche Ignoranz der türkischen Kulturverwaltung haben wir bereits regelmäßig an historischen Orten feststellen müssen.
Hild Hellenkemper lösen das Rätsel auf, als sie den beschriebenen Baukörper als Flussmühlen aus dem 18. Jahrhundert einstufen (Band 1, Lemma „Mallos“ S. 337). Von der „römischen Brücke“ vermerken sie lediglich nicht datierbare Fundamente, die zudem in der Osmanenzeit „stark restauriert“ worden seien.
Erneute (Literatur-)Suche nach Mallos
Militärs sind auch nach ihrer Pensionierung oft noch gute Sondierer des Schlachtenterrains. So auch der „Oberst a.D.“ Arthur Janke, der in seinem Reisebericht „Auf Alexanders des Großen Pfaden“ (Janke 1904) eine topografisch, geologisch und historisch meist präzise beobachtete Beschreibung Kilikiens mit unterfütternden Literaturauswertungen geliefert hat (online auf unilib.bg.ac.rs als PDF-Datei). Janke erwähnt auch unser Mallos, weil es für die große Schlacht bei Issos mit den Persern (333 v.u.Z.) eine gewisse Bedeutung hatte. Denn Alexander der Große habe von dem Einfall des Perserkönigs Darius erfahren, als er sich noch mit seinem Heer in Mallos aufhielt, das „ungefähr zwei Tagereisen entfernt“ gelegen sei (Janke 1904 S. 23; Diskussion der Quellen in Fußnote 59). Wenn sich ein Heer von mehreren Zehntausend Soldaten dort aufgehalten hat, muss es sich um eine bedeutende Stadt gehandelt haben.
Auch Janke ist die genaue Lage von Mallus (gr. Μαλλος) unbekannt (S. 24). Er schließt aus den Quellen eine Lage östlich oder nordöstlich des bereits angesprochenen Karataş, das heute als Urlaubsort gut 50 km südlich von Adana an der Mittelmeerküste mit immer mehr Ferienhaussiedlungen vor sich hin expandiert. Auch er meint explizit jenes Mallos, das von den beiden Sehern Mopsos und Amphilochus gegründet worden sei (die dann – nach Strabon – wegen ihres Streits entfernt voneinander an der Küste beim Mallos-Hafen Magarsos beerdigt wurden). Aus Münzfunden (vgl. dazu die nachstehend noch zitierte Quelle der Princeton Encyclopedia) sei zu folgern gewesen, dass sich damals der Pyramos in zwei Arme geteilt habe, „die westlich und östlich der Hügel ins Meer mündeten“. Mit diesen „Hügeln“ ist offenbar der Bergstrang aus harten Kalken gemeint, der sich von Mopsuhestia bis herunter zur alten Pyramos-Mündung bei Karataş immer flacher werdend herunterzieht. Mallos könne nur an der Teilungsstelle des Pyramos gelegen haben, was ca. 24 km Entfernung von der Küste bedeute.
Lässt sich mit dieser Information etwas anfangen? Die Küste gibt sich leider so geschwungen, dass nicht klar ist, wo mit dem Messen der „24 Kilometer“ angesetzt werden soll. Aber vielleicht vermitteln Luftbilder gewisse Hinweise, um den historischen Ort der Pyramos-Aufspaltung zu ermitteln (Abb. 5):
Eine passender als anderswo wirkende Geländesituation findet sich ca. 8 km südlich von Kızıltahta beim Dörfchen Kesik. Das ist in etwa die Stelle, an der der heutige Pyramos-Lauf nach Osten abknickt und wo eine historische Fortsetzung in einen Fluss-Ast nach Südwesten vorstellbar wäre, also vielleicht auch die erzählte Flusslaufverzweigung. Flussschlingen finden sich jedenfalls im Luftbild der Gegend unmittelbar um Kesik einige. Und die Erosionsvektoren weisen vom Dörfchen nach allen Seiten strahlenförmig weg (Satellitenaufnahme in Abb. 3). Vielleicht ist hier ja ein historischer Siedlungshügel aufzufinden? Angesichts solcher Befunde könnte man darüber hinwegsehen, dass der nächste Strand nur gut 10 km entfernt liegt (statt jener angegebenen 24 km).
Abb. 5 : Vielleicht lag Mallos ja beim heutigen Kesik, das sich im Gelände deutlich hervorhebt und von wo der ältere Pyramos-Ast nach Südwesten zum Meer geführt haben könnte. Verlandete Flussschlingen sind jedenfalls gut zu erkennen.
Auch in unmittelbarer Meeresnähe der Gegend um Karataş lassen sich aus Satellitenbildern noch immer allerlei ehemalige Flussarme ermitteln, die in Nässezonen und dichterer Vegetation deutlich werden. Allerdings kann mit diesem Instrument kein durchgängiger Flussarm vom heutigen Pyramos-Knick nach Osten bei Kesik bis zu seiner historischen Mündung westlich von Karataş (dem vermutlichen Ort des Hafens Magarsos) nachgewiesen werden, wäre aber zu vermuten.
Die Örtlichkeit bei Kesik ist noch aus einem weiteren Grund interessant: A. Janke hat seinen Untersuchungen eine Karte der Straßen zu hellenischer Zeit beigegeben (Janke 1904, Abb. 1a S. 99; hier wesentliche Daten in Abb. 6 übernommen; die Karten im Anhang dieser Quelle wurden ebenfalls von einem Militär, einem Oberleutnant Marées, gezeichnet).
Die Janke-Kartenskizze weist eine küstennahe Trasse aus, die Alexander mit seinem Heer genutzt haben dürfte, wenn er binnen kurzer Zeit nach Alexandretta (dem heutigen Iskenderun) gelangen wollte, wo er auf Darius zu treffen hoffte. Seine Straße musste nach Norden unterhalb des kräftig ansteigenden Kalkstein-Bergrückens bleiben und nach Süden hin Distanz zu den Sümpfen des Pyramos-Deltas halten. Daraus ergibt sich fast zwangsläufig ein Kreuzungspunkt mit dem Fluss, der irgendwo in dem kurzen Abschnitt zwischen Kesik und der heutigen Pyramos-Brücke bei Bebeli liegen muss.
Abb. 6: Historische und aktuelle Orte sowie Verkehrsverbindungen auf OpenStreetMap-Kartengrundlage. Historische Orte sind mit roten Kreisflächen markiert, heutige Orte mit blassen Kreisflächen sowie kursiv beschriftet.
1 Heutiger Pyramos-Mündungsarm nach Süden zum Mittelmeer.
2 Pyramos-Mündungsarm nach Osten zu hellenistischen Zeiten, rekonstruiert aus im Satellitenbild noch wahrnehmbaren Altarmen.
3 Vermutlicher Pyramos-Verlauf in Mopsos‘ Zeiten zur natürlichen Hafenbuch (Rhegma) hinter Magarsos. Das letzte Viertel dieses Flusslaufs ist im Gelände noch erkennbar, der weitere Verlauf bis „Mallos (Kesik)“ vermutet.
rot Möglicher Verlauf einer küstennahen Straße vom Mallos-Hafen Magarsos Richtung Issos (nach Janke 1904, S. 99; Issos wird hier mit dem Siedlungshügel Kinet Höyük identifiziert). Aus der Pyramos-Querung im Bereich zwischen den heutigen Dörfern Kesik und Bebeli ergibt sich ein alternativer Ort, an dem nach dem historischen Mallos zu suchen wäre.
Zwischen der D 400 auf Höhe von Adana und dem Mittelmeer gibt es auch heute nur zwei Brücken über den Pyramos (Ceyhan): die historische römische Brücke von Mopsuhestia (später Misis, heute Yakapinar) sowie eine moderne Brücke bei Bebeli, nur wenig entfernt von der vermuteten historischen Brücke bei „Mallos (Kesik)“.
Wenn das historische Mallos also an besagter Aufspaltung der Fluss-Äste gelegen hat, ist davon auszugehen, dass auch hier Brücken geschlagen waren, die Alexander den Abmarsch Richtung Issos entlang der Küste des Golfs ermöglichten.
Die Fata Morgana verschwindet im Nirvana
Die (auch allgemein als Quelle zum Mallos-Wikipedia-Artikel angegebene) „Princeton Encyclopedia of Classical Sites“ geht ebenfalls auf jene Pyramos-Verzweigung beim historischen Mallos ein (Quelle: perseus.tufts.edu ):
The probable site, discovered in 1950 at the junction of the old and new beds of the river Ceyhan (Pyramos), is 29 km SW of Mopsuestia near modern Kiziltahta. A city coin type of two river gods swimming in opposite directions was a useful clue to identification; for while the Ceyhan now flows E into the Gulf of Issos, the city's port of Magarsos is almost certainly the walled settlement near Karataş, at the mouth of the river's original (though now dry) W course. Near Kızıltahta were found a Roman bridge, an inscription referring to the city of Mallos, and very numerous carved blocks in secondary use.
Dieser kurze Absatz enthält so viele Ungenauigkeiten, dass einem die Hochachtung vor der in dieser Enzyklopädie konzentrierten Wissenschaft schon mal verloren gehen kann (und damit auch die Tauglichkeit als Wikipedia-Quelle):
Wer diesen historischen Ort 1950 entdeckt haben soll, bleibt ungenannt. Ebenso bleibt unbegründet, warum die angesprochene Verzweigung des Pyramos ausgerechnet bei Kızıltahta gelegen haben soll. Weder vor Ort noch in den Satellitenbildern gibt es dafür irgendwelche Anhaltspunkte. Vom historischen Mopsuhestia zum heutigen Kiziltahta sind es etwa 26 km Luftlinie, da kann man über die Differenz zu den angegebenen 29 km hinwegsehen. Jedenfalls würde mit dieser Entfernungsangabe das deutlich weiter südlich liegende Kesik ausscheiden.
Vor allem aber wäre eine Abbildung jener beschriebenen Münze nützlich, ja erforderlich, weil auf dem Kunstmarkt (Auflistung bei wildwinds.com/coins ) eine Vielzahl von Münzen kursiert, die einem historischen Ort namens Mallos zugeschrieben werden. Eine davon, mit zwei „Flussgottheiten“, wird dem römischen Kaiser Caligula zugeordnet, der auf der Vorderseite abgebildet ist. Bild und Erläuterung sind in Abb. 7 wiedergegeben:
Aus dieser Reproduktion lässt sich die angebliche, auf Mallos hindeutende Inschrift links neben der Schicksalsgöttin Typche schon schwer erkennen, zu schweigen von der Frage, warum das sitzende Wesen Tyche sein soll und warum man die beiden Schwimmer darunter als Flussgötter interpretieren kann, die zudem zwei Äste des kilikischen Flusses Pyramos repräsentieren sollen, statt einfach auseinanderzuschwimmen (was in gewisser Weise zu einer Schicksalsgöttin passen könnte). Viel Spekulation, wenig Beweis und weitere Fragen: Ist das überhaupt die Münze, die die Princeton Encyclopedia meint? Und gibt oder gab es überhaupt einen Fluss, der sich gleichzeitig in zwei verschiedene Äste beschwimmen lässt? Man weiß auch all dies nicht.
Dass der Pyramos in historischer Zeit nach Osten in den Golf von Issos geflossen ist, lässt sich aus vielen hier noch sichtbaren Altarmen entnehmen (vgl. zu den Haupt-Flussbettvarianten die Abb. 6). Er hat dorthin seinen Lauf zudem mehrfach geändert, wie die noch erkennbaren Altarme ausweisen. Dass der Pyramos auch mal nach Südwesten zum historischen Hafen Magarsos floss, ergibt sich ebenfalls eindeutig aus küstennahen Altarmen, die nicht nur in den Satellitenbildern sondern auch vor Ort gut erkennbar sind (Abb. 8). Nur über den Ort der Umlenkung muss gemutmaßt werden, weil sich die Altarme nicht mehr überall verfolgen lassen. Die industrialisierte kilikische Landwirtschaft hat da wirksam aufgeräumt.
Wie man das historische Mallos mit zwei Flussbetten des Pyramos und dem heutigen Dorf Kızıltahta zusammenbringen will, kann also keiner wirklich erklären. Auf der Hand liegt das keineswegs. So bleibt als Resümee: Die (angeblich) römische Brücke bei Kızıltahta ist kein Beleg für ein Mallos zu Mopsos‘ Zeiten – und auch nicht zu den Zeiten Alexanders. Eine Pyramosverzweigung lässt sich bei Kızıltahta nicht nachweisen – und läge auch viel zu weit nördlich. Historische Siedlungsspuren einer Stadt finden sich hier sowieso keine. Das historische Mallos von Mopsos, von Alexander & Co. bleibt also vorerst eine Fata Morgana. Betroffen lässt sich nur noch registrieren, dass auch die türkische Verwaltung von „Kultur und Tourismus“ nicht den geringsten Beitrag leistet, um durch eine Infotafel oder was auch immer dies Problem zu klären. So wird Geschichte dem Vergessen hingeworfen.
Auf zur erneuten Suche!
Die letzte Idee ist nun, im Abschnitt zwischen besagtem Kesik und der heutigen Pyramos-Querung bei Bebeli erneut nach jenem historischen Mallos zu suchen – was eine weitere Fahrt nach Kilikien nötig macht. Und nun fällt mir bei erneuter Durchsicht all der Quellen auf, dass auch das Standardwerk „Der Neue Pauly“, der noch in seinem Textteil für leichte Verwirrung gesorgt hatte, weil auch er das Dorf Kızıltahta ins Spiel brachte (s.o.), in seinem Kartenteil kaum merklich, aber doch anders orientiert (Abb. 9). Zwar ist dort das historische Mallos als „unsichere Lokalisierung“ ausgewiesen, aber doch recht eindeutig an jenes Pyramos-Knie gelegt, wo heute das besagte Dörfchen Kesik angesiedelt ist:
Abb. 9: Kartografie Kilikiens für die Zeit um das 10. bis 7. Jahrhundert v.u.Z. nach: Der Neue Pauly Atlas. Mallos blass (= unsere Lokalisierung) in der Bildmitte am Knie des nach Osten abknickenden Pyramos
Diese Suchrichtung wird auch durch Beobachtungen von Hild Hellenkemper unterstützt, die sich unter dem Stichwort „Serretillis Kome“ (Σερρετιλλις κωμη) mit der Gegend zwischen Kesik und Bebeli befassen und dabei auch die Vermutung eines Siedlungshügels bei Kesik bestätigen (S. 408):
Bebeli liegt näher der Küste und ist aufgrund der Funde der bedeutendere Platz. In Kesik ist ein niedriger Siedlungshügel mit römischem, im südöstlich gelegenen Alicizin Çiftliği eine Fundstelle mit hellenistisch-römischem Fundmaterial nachgewiesen. Auf niedriger Kalksteinkonglomeratplatte, teilweise unter dem modernen Dorf Bebeli großer römisch-byzantinischer Siedlungsplatz (marking site of town, rather than village) auf der rechten Seite über dem Ceyhan (Pyramos). Felskammergrab und Säulenbruchstücke. Im Flußbett bearbeitete Steinquader, vielleicht Teile einer antiken Brücke.
Das klingt verheißungsvoll und wird ergänzend in den Anmerkungen zum nahen Dorf Kaldırım (dürftig im Stichwortteil, prägnanter im Textteil S. 135) unterstrichen:
Kaldırım bedeutet auf Türkisch „Pflasterstraße“; der Weg durch das Dorf wird noch als eski yol = alte Straße bezeichnet.
Wenn die antiken Straßenbauer die Feuchtgebiete im Pyramos-Mündungsdelta mit ihren verschlungenen Altarmen meiden wollten, so dürften sie sich an den Höhenzug gehalten haben, der trotz aller Sedimentation noch etwas aus der weiten Ebene herausragt und von Magarsos nach Nordosten über Bebeli und Kaldırım eine Straßenverbindung nahelegt (vgl. noch einmal die Karte in Abb. 6). Noch heute folgt eine Straße dieser Linie. Sie hat östlich des Pyramos nur einen Abzweig, der zwar in Yesilköy endet, dessen Richtung aber nach Westen in die Gegend südlich von Kesik weist. Beide Pyramos-Querungen in diesem Raum sind also im heutigen Straßen- bzw. Pistensystem erhalten geblieben.