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Wie die Römer über den Taurus nach Tarsus kamen
Die berühmte unbekannte Kilikische Pforte und die Via Tauri
Die „Kilikische Pforte“ war eine geradezu mythisch umwobene Engstelle im Taurusgebirge auf dem Weg vom anatolischen Hochland hinunter in die Ebene von Kilikien. Unzählige Heere von Alexander dem Großen, von römischen und byzantinischen Feldherren bis zu den Kreuzfahrern haben sich hier durch einen schmalen Felsenschlitz gequetscht, durch den kaum ein Fuhrwerk passte. In Gegenrichtung durchquerten die Perserkönige Dareios I. und Xerxes I., der Sassanide Shapur I., der Kalif Harun al-Raschid und andere orientalischen Kriegsherren den Pass. Über Jahrtausende diente die Pforte als einzige Handels- und Verkehrsöse durch den Taurus weit und breit. Erst die ‚moderne‘ Türkei hat diese Mythen rigoros beseitigt, die engen Felswände weggesprengt und allein dem ‚modernen‘ Verkehrssystem einer Autobahn Platz geschaffen. Die musste zudem sofort im sechsstreifigen Ausbau her. Diese Autobahn O-21 ist heute die einzige Möglichkeit, die stark geweitete ehemalige Engstelle zu durchfahren, was die meisten auch ganz gedankenlos tun.
Wikipedia zeigt ein Foto in Abwärtsfahrtrichtung nach Süden mit dem dort aufgestellten grünen Schild des heutigen türkischen Pfortenbezeichners „Gülek Boğazı“. Man kann dort nicht einmal halten und die ebenfalls nicht mehr vorhandene historische Infotafel betrachten. Im Übrigen ist die bei Wikipedia angegebene Lokalisierung falsch, die auf den Ort Akçatekir im Hochtal weit nördlich der Pforte verweist. Korrekt ist diese GoogleMaps-Lokalisierung.
Überhaupt fällt nicht nur verbreitete Fehl- sondern geradezu Desinformation zu dieser Lokalität auf. Irgendjemand hatte mal den Gedanken erwogen: da jeder Passant der so wichtigen Pforte glaubt, es sei darüber schon alles berichtet, berichtet er selbst nichts mehr darüber. Und so kommt die nachträgliche, verfremdende oder verfälschende Kolportage zustande .Wenn selbst Wikipedia wenig Verlässliches meldet, gilt dies noch mehr für andere Seiten (sofern die nicht selbst bei Wikipedia abschreiben). Da meint doch eine Website zum Beispiel: „Hoch ragen die schroffen, felsigen Berge in den Himmel. Unten schlängeln sich Autobahn, Staatsstraße, Fluss und die berühmte Bagdadbahn teils nebeneinander, teils übereinander durchs Tal.“ Nun wird wohl auch nach Meinung dieser Autoren nicht gerade der Fluss „über“ der Bagdadbahn schlängeln, aber insgesamt ist die hier behauptete Bündelung in einem einzigen Tal totaler Käse, der Autor kann nie hier gewesen sein oder leidet unter extrem schlechter Erinnerung. Denn:
Abb. 1: Verkehrstrassen im Bereich der „Kilikischen Pforte“ und Versuche ihrer Lokalisierung (Kartengrundlage: OpenStreetMap)
Der historische Pass, über den heute allein die Autobahn O 21 klimmt, quert den äußersten Taurus-Bergzug auf einer Höhe von ‚nur‘ 1050 m. Die Landstraße D 750, die schon länger als die Autobahn ins Taurus-Hochtal von Akçatekir und Pozanti führt, wurde weiter westlich als Umfahrung der Pforte trassiert und muss sich bis auf 1370 m hinaufwinden (Kandilsırtı Geçidi). Die Bagdadbahn, die ebenfalls diese Engstelle zu meistern hatte, wurde hingegen von den deutschen Ingenieuren Anfang des 20. Jahrhunderts in einem anderen Tal weiter östlich über den Bergort Belemedik trassiert und bewältigte das Gebirgshindernis mithilfe einer Vielzahl von Tunnels und Brücken. Die Bahnstrecke wird heute leider nur selten am Tag befahren, so dass sie sich kaum für einen Ausflug eignet, wenn man etwa beim Eisenbahnknoten Yenice östlich von Tarsus starten und dorthin am gleichen Tag auch wieder zurückkehren will.
Das römische Imperium benötigte ebenfalls eine ausgebaute Wegebeziehung durch den Taurus, die neben Kilikien die Provinzen Syrien und Palästina gut erreichbar machen musste. Auch diese Wegebeziehung führte natürlich durch die „Kilikische Pforte“ und hieß „Via Tauri“. Von der Pforte aus strebte diese Römerstraße fast direkt der Stadt Tarsus zu, die auch in römischer Zeit Verwaltungssitz war. Eine historische Karte, die womöglich von dem schottischen Althistoriker William Mitchel Ramsay stammt, zeigt den ungefähren Verlauf (Ausschnitt in Abb. 2).
Diese Via Tauri ist das wohl intakteste Bauwerk aus der Antike, das sich in der Region in und um Tarsus gehalten hat und erkennbar nicht den landestypischen „Rekonstruktionen“ unterzogen wurde. Ich habe jedenfalls noch nirgends eine so gut erhaltene Strecke römischen Straßenbaus solcher Länge gesehen.
Es fällt auf, dass die mit polygonalen Kalkplatten sorgfältig gepflasterte und mit Bordsteinen eingefasste Straße hin und wieder Stufen aufweist, aber keine Radspuren. Die Stufen wären zur Bewältigung der Höhenentwicklung keineswegs erforderlich und wirken daher wie Gestaltungselemente – oder wie bewusst einbezogene Verkehrshindernisse zur gezielten Vermeidung von Fuhrwerksbetrieb. Leider lässt sich angesichts des Autobahnbaus in der Kilikischen Pforte nicht mehr nachvollziehen, ob der Ausbauquerschnitt der Via Tauri auf den Vorhügeln überhaupt durch die Pforte passte und die Römer deshalb Fuhrwerksbetrieb wegen der Gebirgsengstelle baulich ausgeschlossen haben.
Wegbeschreibung zur Via Tauri bei Saglıklı
Die Via Tauri wird zwar im über 80 Seiten starken Teil der „Touristic Places“ des Tarsus 2013-Guide ganz am Ende kurz erwähnt, sie führt jedoch das übliche Schattendasein bedeutender Kulturgüter in der Obhut türkischer Kulturpflege. Mit der dortigen Lokalisierung „It is located in the northern part of Saglıklı Village 15 km far from Taurus“ ist schon wegen der fehlenden Himmelsrichtung, in der man Sağlıklı zu suchen hat, wenig anzufangen.
Abb. 3: Straßen und Pisten im Bereich Sağlıklı kurz nach Abzweig von der D 750 hinter der unteren rechten Bildecke (rot) sowie die Via Tauri in erhalten gebliebenen Abschnitten (grün). Grundlage: Google Earth-Satellitenbild.
Den angegebenen Ort erreicht man auf der nach Norden in den Taurus führenden D 750, die man nach etwa 15 km nach links verlässt, wo auch ein braunes Schild auf die „Roma Yolu“ (alte römische Straße) verweist. Zum weiteren Weg an dem Dörfchen Kurbanlı vorbei vgl. Abb. 3. Die Roma Yolu-Ausschilderung endet unauffällig im Ortskern des anzusteuernden Dorfes Sağlıklı (siehe Bildergalerie unten). Vor der Tankstelle mit dem letzten Wegweiser hält man sich rechts und folgt dem Sträßchen (das bald zur Piste wird) um mehrere Ecken den Berg hinauf. Ehe man die oben an der Steinbruchskante querlaufende Piste erreicht, sollte man das Auto abstellen, da dort der Schwerverkehr naher Steinbrüche das Kommando führt (fußkrank könnte man mit einem Auto, das es bis hier geschafft hat, auch noch bis zum Tor an der Via Tauri weiterfahren und dort parken, verpasst dann allerdings den Blick in die gigantischen Landschaftsschäden der Kalkbrüche).
Auf der Piste der Steinbruch-LKWs wandert man eine Weile aufwärts Richtung Westen, ehe an einer Abzweigung mit drei alten grad gewachsenen Olivenbäumen (ohne Hinweisschild) auf den Richtungswechsel nach rechts (Norden) zu achten ist. Bald hat man das Tor erreicht, vor dem die Via Tauri schon einige Meter den Zufahrtsweg begleitet. Dies Tor ist wieder einmal – wie viele solcher intakt scheinenden Bauten – mehr ‚Rekonstruktion‘ als Original. Wie schon gewohnt erfährt man auch nichts Näheres aus einer Informationstafel – es gibt nicht eine einzige an der gesamten Via Tauri-Strecke. Der Tarsus 2013-Guide meint, hier sei in einer Art „Triumphbogen“ die Grenze zu Kilikien markiert worden.
Ungefähr 500 m weiter sanft den Hang hinauf macht die römische Strafe einen unmotivierten 90°-Knick nach rechts. Das Gelände zwingt nicht zu dieser befremdlichen Trassierung. Einen ähnlichen 90 °-Knick gab es bereits vor dem Tor, so dass die Straße mit beiden Knicks einen Versatz in ihrer Generalrichtung nach Süden erhält. Die Straße kreuzt dann eine von links kommende rezente Piste, die im weiteren Verlauf dankenswerterweise neben und nicht an Stelle der historischen Straße geführt wurde. Dies gilt aber nicht mehr auf der sodann erreichten ca. 200 m langen Sattelquerung, wo der rezente Pistenbau die historische Straße komplett konsumiert hat. Es folgt links eine Situation, die wie ein historischer Steinbruch aussieht (siehe nachfolgende Bildergalerie). Im weiteren Verlauf respektiert die Piste dann wieder durch Paralleltrassierung die römische Straße und zieht schließlich nach links von dannen, so dass die Via Tauri allein über die letzte Anhöhe und dahinter wieder herunter ins weite Tal vor den Taurus-Bergketten laufen kann.