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Suche in Kilikien

... nach den warmen und kalten Quellen der Ilias

Homers Ilias beschreibt im XXII. Gesang einen Wettlauf, den sich die zwei Anführer der gegnerischen Lager – der troianische Prinz Hektor und der ihn jagende Grieche Achilles – geliefert hatten, bevor Achill den Hektor umbringen konnte. Der Lauf habe von der Stadt Troia dreimal zu zwei Quellen geführt, die eine warm, die andere kalt.

Dies Thema wurde vorbereitend zur Kilikien-Reise auf dieser Website unter Die warmen und kalten Quellen der Ilias an Hand von Auszügen aus der Ilias vorgestellt.

Nehmen wir einmal an, die kilikische Hauptstadt Tarsus sei – wie es Raoul Schrott meint – im Szenario ihrer Eroberung durch den assyrischen König Sanherib (ca. 745-680 v.u.Z.) Anschauungsort für einen in Kilikien heimischen Homer gewesen. Dies umkämpfte und letztlich zerstörte Tarsus habe ‚Homer‘ bei seiner Beschreibung der Stadt Troia inspiriert (für Troias Burg soll dann nach Raoul Schrott die Festung Karatepe-Aslantaş als Vorbild gedient haben – vgl. Homers Heimat S. 59). Und nehmen wir an, dass kalte Wasser nur dort zu finden sind, wo der an Tarsus vorbeiströmende Kydnos vor Erreichen der Stadt als Schmelzwasser das Taurusgebirge verlässt. Dann sollte es auch ohne eine Reise nach Kilikien bereits durch Kartenbetrachtung auszuschließen sein, dass der Heldenwettlauf von Tarsus bis zu diesem Kydnos-Bergdurchbruch geführt hat – und dies gar noch mehrfach. Die Entfernung ist mit über 8 km Luftlinie für die einfache Strecke schlicht zu groß.

Dennoch ließ Raoul Schrott nicht locker, um auch für diese im Grunde rein dichterische Facette der Ilias einen konkreten Ortsbeleg zu finden. Was hat er entdeckt, als er in Kilikien auf die Suche nach einer warm-kalt-Quellkombination gegangen ist? Immerhin vier Fotos – die Abbildungen 14 bis 16 in Homers Heimat S. 352 f – sollen einen Funderfolg bezeugen. Das hat offenbar noch niemand nachgeprüft, wir waren da wohl die ersten (zur Erkundungsroute vgl. Abb. 1):

Wir unterqueren die D 400-/O 51-Ver­bindungs­spange westlich von Tarsus, sodann die Autobahn O 51 selbst und orientieren uns nach Norden auf dem gut befahrbaren, aber nummern­losen Sträßchen Richtung Kösebalcı. Im steten Auf und Ab geht es durch eine reizvolle hügelige, kleinteilig im Einklang mit Geländeform und Bodenbeschaffenheit unregelmäßig parzellierte Landschaft, in der sich Weinfelder, Obstplantagen, Olivenhaine, Wiesen und kleine Waldstücke munter abwechseln. Über allem leuchten noch im April die schneebedeckten Gipfel des Taurusgebirges am nahen Horizont – und verheißen kaltes Schmelzwasser (manche der hier geschilderten Ansichten sind in der Bildergalerie am Schluss des Artikels wiedergegeben). Bald öffnen sich bizarre Blicke auf die künstlichen Wasser­land­schaften des Berdan-Stausees, der die schlängelnden Konturen des Geländes nördlich von Tarsus nachzeichnet.

Im Dorf Kösebalcı suchen wir eine Piste zum Stausee hinunter, über die wir zum Kydnos-Durchbruch im Gebirgsrand gelangen wollen. Wieder durchqueren wir Äcker, nun meist mit Agrumenplantagen und Gemüseanbau (vor allem Paprika und Tomaten), die aus dem nahen Stausee bewässert werden. Doch irgendwann ist die Piste zu Ende. Zwischen unerreichbarem Gebirgsdurchbruch und uns liegt der aufgestaute Kydnos. Das ist wohl auch Raoul Schrott so ergangen und so hat er diesen letzten Kydnos-Durchbruch vor Taurus nicht weiter betrachtet.

Doch das Taurus-Gebirge staffelt sich in mehrere Stränge und so gibt es noch weitere Bergzüge, durch die sich der Kydnos seinen Lauf gesägt hat. Also zurück nach Kösebalcı und weiter zum nächsten Gewässerdurchbruch bei Büyükkösebalcı.

Hier gibt es fürwahr einen schönen Gebirgseinschnitt der kurz zuvor vereinten Gewässer von Kydnos (heute Berdan Çayı) und seinem fast gleich mächtigen Zulauf, der heute Pamukluk Çayı genannt wird. Hier steht auch eine moderne Brücke, unter der offenbar Fragmente sehr viel älterer Kydnos-Brücken erhalten geblieben sind. Das Kydnos Wasser hatte eine gefühlte Temperatur von um die 10°C (Durchschnittswert unserer Tipps, ein Thermometer hatten wir leider nicht dabei). Doch im Vergleich mit Schrotts Fotoabbildung 15 „Brücke über den Kydnos bei Ulas“ passt die Situation nicht. Schon hier ist der von Schrott als Referenz genannte Ort Ulas so weit weg, das man kaum noch von „bei Ulas“ sprechen kann. Aber eine weitere Kydnos-Brücke gibt es auch im weiteren Ulas-Umfeld nicht mehr.

Oder sollte Schrott ein wenig gemogelt und den Pamukluk Çayı-Nebenfluss als Kydnos ausgegeben haben? Der hat – nun vor dem dritten Flussdurchbruch durch Taurus-Bergzüge und viel weiter von Tarsus entfernt – tatsächlich auch eine Brücke zu bieten. Sie erweist sich als Motiv der Schrott’schen Abbildung 15, auch wenn es sich hier nicht um den „Kydnos“ handelt. Unter der Brücke gibt es zudem keine „ausgewaschenen Becken“, in denen sich die ‚troianischen‘ Frauen mit ihrer Wäsche hätten beschäftigen können. Keine Frau aus Tarsus hätte diesen weiten Weg auf sich genommen, um hier ihre Wäsche zu waschen. Auch „Schwefelquellen“ gibt es ebensowenig wie einen „Granitrücken“, wo das gesamte Umfeld aus Kalkstein und Konglomerat geformt ist. Angebliche warme „Schwefelquellen“ lassen sich zudem kaum noch nachprüfen, weil der Hang, an dem Schrott sie gefunden zu haben meint, inzwischen erheblich durch den Bau der neuen Straße angegriffen, die Zufahrt zur alten Brücke abgeklemmt und in Zuge der neuen Straße eine neue Brücke etwas weiter unterhalb errichtet wurde. Im Übrigen liegt dieser ‚Schwefelquellenhang‘ (in Abb. 2 jeweils in der oberen Bildmitte) mehr als einen halben Kilometer vom ‚kalten‘ Flusslauf entfernt, so dass auch eine erlebbare warm-kalt-Quell-Kombinationssituation nicht gegeben ist.

Das Umfeld dieser (vor Ort und auch von Raoul Schrott) „Keşbüke“ genannten Brückenörtlichkeit macht einen verwahrlosten Eindruck. Auch ohne die vorgefundenen Bruchbuden und Betontrümmer gäbe es keinerlei Anlass, an dieser abgelegenen Stelle irgendeine Inspiration für einen kilikischen Dichter zu vermuten.

Angesichts der vielen durchfahrenen Weinfelder, die sich um die benachbarten Dörfer Karadirlik, Ibrişim und Ulas verteilen, kommen ganz andres Assoziationen auf – zu Quellen warmen Rot- und kalten Weißweins. Deren Geheimnis haben wir mit der auf warme und kalte Kydnos-Quellen konzentrierten Suche leider nicht lüften können, so dass sich eine Rückkehr in diese reizvolle Landschaft durchaus lohnt. Denn nirgends konnten wir bislang bei der kursorischen Durchfahrt in diesen eher ärmlichen Dörfern Anlagen zur Weinverarbeitung (Keltern, Tanks, Keller) entdecken. Oder sollte es tatsächlich stimmen, was Wikipedia verbreitet, dass lediglich 2 % der türkischen Weintraubenernte in die Weinproduktion gehen? Wir mochten es beim anderenorts doch noch möglichen Genuss etwa des autochthonen Öküzgözü („Ochsenauge“) nicht glauben!
Tipp: An der Straße von Ulas nach Tarsus gibt es ein Lokal, in dem ein alter Mann frisch aus den Lammhälften im Kühlschrank geschnittenes Grillgut zubereitet und auf seiner Wiese mit Salat und Brot serviert. Einfach, aber gut (Geoposition: auf OpenStreetMap bzw. auf GoogleMaps). Nur lokalen Rotwein gibt es auch hier nicht, weil Erdoğans Alkoholverbot im Umfeld der so dicht gestreuten Moscheen überall greift.

Bildergalerie

Einige Szenen, die im vorstehenden Artikel beschrieben sind, finden sich nachfolgend auch in Ansichten einer kilikischen Bildergalerie: