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Der Donuktaş

Ein gewaltiges Gebilde aus ‚gefrorenem Stein‘

Im Südosten des Stadtzentrums von Tarsus, zwischen Türkmenistan- und Donuktaş-Caddesi, liegt das aus meiner Sicht herausragendste historische Monument der Stadt (Geoposition auf Google Maps). Es präsentiert sich – als seltene Ausnahme unter den örtlichen Touristenhighlights – noch authentisch, offenbart aber andererseits wieder einmal eine hier besonders herausragende Ignoranz der türkischen Kulturpflege.

Entschlüsselungsgeschichte

Der Donuktaş ist ein Gebilde aus römischem Beton (Opus caementitium) in einer Variante aus groben Fluss­kieseln, das sich seit fast 2000 Jahre erhalten hat (Abb. 1). Wegen dieser eigentümlichen Textur von natürlich gerundeten, in einer Zementmatrix verfestigten Steinen erhielt er im Volksmund seinen Namen, der „gefrorener Stein“ bedeutet. Zunächst hielt man das Gebilde für eine gigantische Grabstätte, bis der deutsche Architekt und Begründer der modernen archäologischen Bauforschung Robert Koldewey (1855 bis 1925) den (vermutlich) wahren Charakter dieses sich bis zu 8 m hoch auftürmenden gigantischen Podestes von 98 x 43 Metern Grundfläche anlässlich seines Besuchs im Jahre 1890 rekonstruierte (Abb. 2; die in einen kurzen Artikel konzentrierte Rekonstruktion ist online in der digitalen Bibliothek der Uni Heidelberg nachlesbar). Mit Nebenbauteilen wurde die „sichtbare Ruine“ gar auf 133,5 x 60,5 m vermessen (Donuktaş DFG 2010)

Überall wo antike Gebäude partiell erhalten geblieben sind, wo ihre Steinquader nicht als Baustoff für spätere Gebäude geraubt oder als Material zum Brennen von Zement verbraucht worden sind, blieben Ruinen zurück, die uns optischen Halt für Rekonstruktionsvorstellungen bieten. Ganz anders der Donuktaş. Er zeigt lediglich das blanke Negativ dessen, was hier einmal als Tempel stand (zur Einordnung der baulichen Elemente vgl. Abb. 2):

Abb. 2: Bauaufnahme des Donuktaş durch Robert Koldewey in Aufsicht (a) und mittigem Schnitt (b). Koldeweys Bezeichner sind hier rot hervorgehoben. ‚X‘ bezeichnet den in den Betonrahmenteil H gesprengten Eingang, ‚Y‘ und ‚Z‘ beziehen sich auf Beschädigungen der nördlichen Freitreppe, die im Zuge von ‚Grabungen‘ durch den französischen Konsul M. Gillet entstanden, der bei seinen Unternehmungen auch vor dem Einsatz von Sprengstoff nicht zurückschreckte (so die Infotafel am Eingang).

 

Alle noch sichtbaren und voneinander isoliert stehenden Teilobjekte, die Rampe im Norden (A), die vier Betonblöcke B bis E im Zentrum der Anlage sowie die U-förmige Umrahmung (die Blöcke F, G und H in Koldeweys Systematik) sind nur die zurückgebliebenen Füllmassen, vor und zwischen denen man sich Fundament- bzw. Sichtmauerkonstruktionen aus sorgfältig behauenen Kalkstein-Quadern vorstellen muss. Zuerst hatte man also die mächtigen Fundamentstreifen und Wände aus Kalksteinquadern errichtet und sodann die Zwischenräume mit grobem Flusskieselbeton ausgefüllt. Auf diesem somit vollständig aus Stein und Beton bestehenden, mit steinerner Abdeckung um die 8 m hohen Podest baute man sodann den gewaltigen Säulentempel auf. Nach dessen Verfall wurden nicht nur die begehrten Bausteine dieses Tempels weggebracht, sondern sogar die Kalksteinquader der Fundamente nahezu komplett zur Verwendung in anderen Bauten der Stadt herausgebrochen. An einigen Stellen sind diese Quader dabei zerbrochen, so dass Reste im umhüllenden Beton haften geblieben sind (vgl. z.B. Abb. 1, rechte Bildmitte).

Aus dieser Analyse hat Koldewey eine Rekonstruktion entwickelt, wie der ehemalige römische Tempel ausgesehen haben könnte (Abb. 3). In dieser Größe und mit Errichtung auf einem so hohen Sockel muss das ein grandioses Bauwerk der Antike gewesen sein.

Abb. 3: Rekonstruktion des Tempels durch Robert Koldewey im mittigen Schnitt (c) sowie als Aufsicht (d). Im Schnitt sind die Kalksteinquader-Fundamente schwarz zwischen den punktierten Betonfüllungen dargestellt.

 

In den Jahren 1985 bis 1992 wurde die Anlage unter Leitung von Nezahat Baydur (Universität Istanbul) einer intensiven archäologischen Untersuchung unterzogen. Baydur datierte die Anlage auf die zweite Hälfte des 2. Jh. unserer Zeitrechnung. Ihre Grabungsergebnisse sind weitgehend nur in türkischer Sprache zugänglich. Wesentliches Resultat ihrer Untersuchungen war die Erkenntnis, dass der heute begehbare große Innenbereich zwischen den Langmauern F und H sowie den Blöcken D und E (vgl. Bauaufnahme in Abb. 2) nicht aufgefüllt war, sondern schon zur Nutzungszeit des Tempels als tief liegender Innenhof existierte, zu dem über Rampen abgestiegen werden konnte. Deshalb kragen auch die angrenzenden Fronten der Betonfüllung nicht über (wie an den Außenseiten – vgl. Abb. 1), sondern erheben sich vertikal. Denn sie waren zum Innenhof hin von einer ebenso vertikalen mächtigen Schauseite aus Kalksteinquadern verkleidet. Dieser Innenhof und seine Nutzung machen das Bauwerk noch geheimnisvoller. Ebenso harren viele Details der Aufklärung, wie etwa jene rechteckigen Eintiefungen, die in der Ostwand-Innenseite im Bereich des Innenhofes weit oben auffallen (Abb. 4).

Baydur 2000 vergleicht den Donuktas mit dem ähnlich großen Apollon-Tempel in Didyma an der klein­asiatischen Westküste (Beschreibung mit fein aufgelöstem Foto bei Wikipedia, Geoposition bei Google Maps). Sowohl die Größe als auch die Proportionen der beiden Tempel sind fast gleich, die Säulendurchmesser fallen beim Donuktaş mit 2,10 m nur 10 cm stärker aus als beim Didyma-Tempel. Doch wo wir beim Didyma-Tempel trotz aller Ruinenhaftigkeit noch immer das Positiv sehen, zeigt uns der Donuktaş das Negativ, das bauliche ‚Innenleben‘ ohne alle steinerne Verkleidung (das wir beim Didyma-Tempel ob seiner zwar fragmentarischen aber noch intakten Verkleidung wiederum nicht studieren können). Anders als der Didyma-Tempel stand der Donuktaş-Tempel auf einem sehr hohen Podest, das nur von einer Seite – über die nördliche Freitreppe – erreichbar war. Insofern dürfte dies Bauwerk in der Antike einmalig gewesen sein.

In jüngster Zeit befasst sich ein Projekt der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) unter Leitung von Prof. Ansgar Brunn (Vermessung und Geoinformatik) sowie des Archäologen Winfried Held, beide Universität Marburg, mit dem Objekt (Link im Literaturverzeichnis zu Donuktaş DFG 2010).

Trauerspiel der türkischen Denkmalpflege

Als Koldewey 1890 den Donuktaş untersuchte, fand er ihn noch umgeben von „Feigen- und Orangengärten“ (Koldewey 1890, S. 178). Heute ist die gigantische Anlage auf der einen Seite völlig freigestellt, die dort früher angelegten Felder und Agrumenhaine beseitigt. Diese brachen und mit Raupen geglätteten Flächen erwartet nun ein ungewisses Schicksal. Auf der anderen Seite rückt die Bebauung mit Wohnhäusern und kleinen Gewerbebetrieben unmittelbar an das historische Objekt heran, so dass es nicht rundum zugänglich ist (vgl. Abb. 5). Bis zum ‚Eingang‘ auf der Westseite, der wohl von den Steinräubern zwecks Abtransport der Fundamentquader in den Betonrahmen gesprengt worden war, kann man von Süden her gelangen – dort findet sich jenseits der freigeräumten Fläche an der Donuktaş Caddesi ein kostenpflichtiger Parkplatz.

Im Einklang mit der baulichen Konzeption müsste man sich die Anlage als Besucher aber vor allem über die gigantische Freitreppe erschließen, die zu intakten Zeiten das Gebäude allein von Norden her zugänglich machte. Hierher gelangt man jedoch nur auf verschlungenen Wegen über diverse Gewerbehöfe. Der verbliebene Betonkern der Treppenrampe, auf der einmal eine mehr als 40 m breite Treppe auf die 8 m hohe Tempelebene führte, ist achtlos mit Altautos vollgestellt und dient in all dem Abfall einem Wachhund als Anpflockort mit Aussicht. Noch ist die Untermauerung eines (bei Koldewey nicht dargestellten) mittigen Podests zu sehen, auf dem vielleicht einmal ein großes Standbild aufgerichtet war. Auch die rätselhaften rechteckigen Aussparungen am oberen Rampenrand fallen auf, hinter denen sich Koldewey die 10 Frontsäulen vorgestellt hatte. Vielleicht waren auch hier seinerzeit Sockel von Standbildern eingelassen. Im Westen der Freitreppe konnten die gewerblichen Nutzungen eine Fläche noch nicht erobern, in der die türkische Archäologin Nezehat Baydur ein Seitengebäude neben der Treppe ergraben hat. Ein solches Gebäude dürfte aus Symmetriegründen auch auf der Ostseite gestanden haben, doch dort verhindern die angebauten Gewerbeschuppen eine Erkundung.

Der Stadt Tarsus ist das Ganze wohl selbst ein bisschen peinlich, denn in ihrem Touristenbuch retuschiert sie die unmittelbar an das Denkmal rückende Bebauung einfach weg und ersetzt sie durch Wolken und Wiese (Tarsus 2013 S. 44, hier in Abb. 6 übernommen. Diese Perspektive ist real nicht fotografierbar – vgl. Abb. 1). Wenn die Stadt Tarsus dieses Denkmal wirklich ernst nehmen will, so müsste sie zumindest folgendes zur Denkmalpflege tun:

Aufwand, Staunen, Nutzen und Verbrechen

Die moderne Türkei zeigt heute viel gewaltigere Bauwerke als den Donuktaş – etwa den Atatürk-Staudamm in Südostanatolien (siehe Link nach diesem Abschnitt). Auch angesichts solcher Monumente der Jetztzeit können wir ins Staunen geraten. Doch wir wissen um die technischen Möglichkeiten unserer Zeit, solche Baumassen aufzutürmen. Die antiken Bauherren hatten diese Ressourcen an Sprengstoff, Baggern, LKWs, Betonmischanlagen usw. hingegen nicht. Wir wissen nicht, mit wie vielen Menschen und mit welchem Gerät ihnen der Bau solch gewaltiger Anlagen wie des ehemaligen Tempels am Ort des heutigen Donuktaş gelingen konnte. Und wir rätseln, wie sich die Bauherren so verschwenderisch geben konnten, dass sie die Räume zwischen den (inzwischen entfernten) präzise gearbeiteten Fundament- und Sichtwände-Steinquadern nicht einfach mit Erde auffüllten, sondern die noch heute beeindruckenden, erhalten gebliebenen Massen an Beton als Füllmaterial hineingossen. Konnten sich diese Herrscher über jegliche Kosten-Nutzen-Rechnungen erhaben hinwegsetzen?

Gegenüber einem Projekt wie dem Atatürk-Staudamm muss diese Frage kaum weniger aufgeworfen werden. Denn vor allem bei diesem Bau der Jetztzeit scheint ein akzeptables Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht gegeben. In welcher Relation stehen die riesigen fruchtbaren Flächen, die heute vom aufgestauten Euphratwasser überflutet und somit jeder Nutzung entzogen sind, zu jenen Wüstenflächen, die nun mit dem aufgestauten Wasser künstlich bewässert werden sollen? Kann letztlich der Vorteil einer aufwändigen landwirtschaftlichen Nutzung ehemaliger Wüstenareale mit all ihren Gefahren (etwa der Bodenversalzung) den Nachteil versunkener fruchtbarer Äcker am ehemaligen Euphrat-Lauf aufwiegen? Und wie wird in dieser Bilanz berücksichtigt, dass unzählige Stätten antiker und frühgeschichtlicher Kultur von den Wassern des Atatürk-Stausees rücksichtslos unter Wasser gesetzt wurden?

Demgegenüber war der Verbau großer Betonmengen als Füllmaterial zwischen Tempelfundamenten wohl kaum ein ökologisches und kulturelles Verbrechen wie jene Bauprojekte der Neuzeit, sondern nur eine sehr großzügige Nutzung des Flusskiesel-Rohstoffs, den die Flüsse reichlich heranführten. Aber das Staunen bleibt, und eine Ahnung, welchen gewaltigen Aufwand jene Bauherren zum Ruhm ihrer Gottheiten erbracht haben.

Der zuletzt angesprochenen Problematik mit den u.a. durch den Atatürk-Stausee verbrauchten Ressourcen sowie vernichteten Landschafts- und Kulturgütern geht eine Untersuchung im Südostanatolien-Bereich dieser Website nach: Die Industrialisierung der südostanatolischen Landwirtschaft durch künstliche Bewässerung.

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