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Vgl. zur allgemeinen Beschreibung der ostkilikischen Festung, in der die hier behandelten Bildwerke gefunden, ausgegraben und rekonstruiert wurden: Die Festung Karatepe-Aslantas.

 

Die Bildwerke von Karatepe-Aslantaş


Übersicht:


 

Die Bildwerke der in den Torbauten aufgestellten Figuren und Orthostaten werden im Wikipedia-Artikel zu Karatepe-Aslantaş (vor allem auf Grundlage der Quelle Karatepe Bildwerke 2003) in aller Ausführlichkeit beschrieben. Dennoch  - oder gerade wegen dieser Ausführlichkeit – verbleibt große Unübersichtlichkeit, und insbesondere die offene Frage, wie diese Bildwerke grundsätzlich zu deuten sind.

Die umfassende Dokumentation von Çambel / Özyar (Karatepe Bildwerke 2003) ebnet den Weg enorm, als sie alle Reliefs auf den großen Basaltplatten („Orthostaten“) auch in Umzeichnungen anbietet und so die technische Vorarbeit der bildnerischen ‚Entzifferung‘ vereinfacht. Abb. 1 zeigt als Beispiel die Abfolge von zwei Figuren, acht Orthostaten (Nr. 12 weitgehend durch eine Sphinx verdeckt) und drei schmalen Zwischenelementen („Binder“, davon Nr. 3 und 10 mit hier nicht dargestellten Beschriftungen) im Vorhof des Nordtors auf der rechten Seite in Eintrittsrichtung, also kurz: NV r-1 bis NV r-13. Daher steht Objekt 1 (ein Portallöwe ohne Kopf) ganz rechts und Objekt 13 (eine Sphinx) ganz links. Da das Gelände auch im Torbereich weiter ansteigt, die Erbauer keine Egalisierungen vorgenommen haben, sondern der natürlichen Geländeentwicklung baulich gefolgt sind, wurden die Objekte ebenso ansteigend aufgestellt (wobei auch die lange Zeit von über 2.700 Jahren ein wenig Verwerfung hinzugefügt haben wird) – der Innenbereich des Burghügels folgt also links, der Zwinger befindet sich vor dem Eingang rechts.

Abb. 1: Die Bildwerke NV r-1 (ein Portallöwe ohne Kopf rechts am Eingang zur Toranlage) bis NV r-13 am Ende des Vorraums. Der Orthostat NV r-12 ist durch die Sphinx NV r-13 weitestgehend verdeckt.

 

Schon formal Wesentliches wirft Rätsel auf: Die Figuren, Orthostaten und Binder stehen zwar auf Steinsockeln, sind aber selbst nur um die 1,20 bis 1,40 m hoch. Ein durchschnittlich großer Mensch unserer Zeit schaut also darüber hinweg. Er  muss den Blick senken oder sich gar bücken, um die Figuren genau betrachten zu können. Was haben sich die Künstler dabei gedacht? Wollten sie vom Betrachter Demut einfordern, so dass der sich vor diesen Kunstwerken – faktisch aber vor deren Inhalten, nicht zu vergessen die kraftvollen eingestreuten Inschriften – verneigen musste? Denn die Relief-Platten und Figuren hätten unschwer auch auf höheren Sockeln aufgebaut werden können.

Grundsätzlich hatten solche Orthostaten-Aufstellungen ihr Vorbild in hethitischen Anlagen. Dort aber gab es auch doppelt so hohe bildnerische Torwandauskleidungen, die dann ergänzend eine obere Galeriewand zeigten, zu der man nunmehr aufschauen musste (vgl. etwa das Sphinxtor von Höyük bei Alazar, in: Hethiter 2002, S. 109, Grundriss S. 174)

Hier soll nun schrittweise eine interpretatorische  Strukturierung folgen, die sich vor allem um grundsätzliche Verständnislinien bemüht:

 

1. Die Portalfiguren

Eine Orientierung in den Bildwerken der beiden Toranlagen ist gar nicht so einfach, obwohl Çambel / Özyar alles Hilfreiche beisteuern. Dies liegt vor allem daran, dass uns die Bildsprache der Objekte, die zugrundeliegende Philosophie und Lebenswelt nach 2.700 Jahren nur noch sehr fremd sein kann. Eher technisch liegt dies außerdem daran, dass  – auch nach Rekonstruktion aus weit verstreut gefundenen Teilen – noch immer zahlreiche Objekte fragmentarisch geblieben sind oder gar ganz fehlen.

Beginnen wir mit den Portalfiguren, die dem Ganzen ein Gerüst geben und beginnen wir dabei mit dem Nordtor, dessen Objektbestand besser erhalten ist (Abb. 2):

Der Tordurchgang ist in zwei ungefähr gleich große längliche Räume gegliedert, die durch eine Steinplattenschwelle voneinander getrennt werden. Der Vorraum „NV“ ist beidseits durch vollständig erhaltene Bildobjekte gesäumt. Hinter der Schwelle folgen ein Zwischenabschnitt ohne Bildwerke an den begleitenden Wänden und sodann die beiden Kammern, wobei die rechte (NK r), zum Hügel hin ansteigende, wesentlich tiefer ist als die linke (NK l), abfallende.

Alle Eckpunkte der zwei Teilräume mit Orthostaten sind durch Tierfiguren akzentuiert, sechs dieser acht Figuren sind plastisch ausgestaltet, also keine Orthostaten-Reliefs. Alle acht Eck- bzw. Portalfiguren sind in Abb. 2 orange bzw. rot unterlegt. Die orangenen Objekte finden sich am äußeren Eingang und am inneren Ausgang. Dabei handelt es sich um Löwengestalten. Das Ende des Vorraums und der Beginn der Kammern werden jeweils durch Sphinxe markiert. Alle Portalfiguren im Vorraumbereich schauen axial nach außen, alle Portalfiguren im Kammernbereich hingegen orthogonal in die Torgasse. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die Sphinxen an den inneren Ecken der Kammern (NK r-1 und NK l-1) lediglich als Reliefs (Orthostaten) ausgebildet sind, nicht aber plastisch.

Abb. 2: Plan der Sockel- und Schwellensteine (weiß) sowie der darauf errichteten Orthostaten und Portalfiguren (grau bzw. farbig hinterlegt) im Bereich des Nordtores. Links oben eine Übersichtsskizze des gesamten Nordtorkomplexes mir vorgelagerter runder Zwingermauer.

 

Das Konzept mit sechs plastischen Portalfiguren entsprach aber offenbar nicht dem ursprünglichen architektonischen Entwurf. Denn die beiden Portalsphinxe am Ende des Vorraums (NV r-13 und NV l-12) sind nicht in die bauliche Abwicklung der Torwände integriert, sondern wurden einfach vor die seitlichen Wände gestellt. Dies geschah so krude, dass die Orthostaten NV r-12 bzw. NV l-11 durch die vorgestellten Sphinxe nun ganz oder zum größten Teil verdeckt sind. Waren also den Erbauern diese – im Übrigen besonders differenziert und sorgfältig ausgearbeiteten – Sphinxe wichtiger als die nun verdeckten Orthostaten-Szenen? (vgl. die insofern nicht überzeugende Diskussion in Karatepe Bildwerke 2003 S. 143, wo die vorgestellten Sphinxe als Teil einer einheitlichen Bauabwicklung dargestellt werden und das Verdecken der Orthostaten dahinter beabsichtigt gewesen sei, weil diese „verworfen“ worden seien).

Die Montage verfügbarer Fotos der sechs plastisch ausgearbeiteten Portalfiguren des Nordtorkomplexes aus Karatepe Bildwerke 2003 ergibt aus Sicht eines in das Tor Eintretenden ungefähr das Bild in Abb. 3 (unter Weglassung aller anderen Bildelemente, Inschriften und Binder längs der Gehrichtung und in den seitlichen Kammern):

Abb. 3: die sechs plastischen Tierfiguren – vier Portallöwen und zwei Portalsphinxe im Nordtorkomplex (vgl. zu deren Lage Abb. 2)

 

Abb. 3 offenbart schon recht eindrucksvoll die Aufgabe dieser an besonderen Ecken aufgestellten Tierfiguren: sie hatten eine magische, eine apotropäische Funktion (von gr. ἀποτρόπαιος ‚(Unheil) abwendend; vgl. Karatepe Bildwerke 2003, S. 144, Fußnote 767) – sowohl gegenüber jedem, der in die Burg eintreten wolltn (toraxiale Ausrichtung), also auch zum Schutz der Bildwerke in den beiden Kammernischen (orthogonale Ausrichtung).

Die architektonischen Entwurfsfehler bei den mittleren Portalfiguren wurden im Südtorkomplex nicht gemacht. Womöglich ist dies Tor etwas später entstanden. Hier sind die mittleren Portalfiguren (SV l-7 und SV r-7)  durch eine stärkere Aufweitung des Vorhofs, dessen Wand dann vor dem Zwischenbereich in die Torgasse zurückspringt, von vorneherein gestalterisch hervorgehoben in die Wandabwicklung integriert worden.

Im Südtorbereich (Abb. 4) fehlen Tierfiguren in den Ecksituationen zu Beginn der Kammern (schon beim Nordtor waren hier aber keine plastischen Figuren, sondern nur Reliefs mit Sphinxen aufgestellt).  Sie sind wohl auch nicht verloren gegangen, obwohl die Lückenhaftigkeit der erhalten gebliebenen Orthostaten im Südtorbereich für eine solche Überlegung Anlass gibt. Denn die Archäologen haben an die Ecke der linken Kammer in der Position SK l-1 aus gutem Grund einen Orthostaten mit einer anderen Bildszene aufgestellt, weil der sowohl an Schmal- als auch Breitseite bildnerisch gestaltet ist. Das passte dann nur hier. Aus allem ergibt sich auch für den Südtorkomplex die gleiche gestalterische Konzeption von sechs Portalfiguren mit apotropäischer Funktion (in der Ansicht von außen nach innen ähnlich Abb. 3):

Abb. 4: Plan der Sockel- und Schwellensteine (weiß) sowie der darauf errichteten Orthostaten und Portalfiguren (grau bzw. farbig hinterlegt) im Bereich des Südtors. Links oben eine Übersichtsskizze des gesamten Südtorkomplexes.

 

2. Interpretation des Bildprogramms

In der kulturellen Nachfolge des Hethiterreichs sind in Kilikien und Ostanatolien mehrere befestigte Burg- oder Stadtanlagen mit aufwändig gestalteten Tordurchgängen in den Befestigungsmauern entstanden. Die inneren Wände dieser Toranlagen waren mit großen Basaltplatten (Orthostaten) ausgekleidet, die – neben plastischen Portallöwen und -sphinxen – in Reliefbildern nicht nur allerlei Figuren zeigten, sondern in diesen Figuren auch Geschichte(n) erzählten. Ein weiteres Beispiel neben Karatepe zeigt Abb. 5 mit der Festung Zincirli.

Abb. 5: Rekonstruktionszeichnung zum Südtor der Burg von Zincirli (historisch Sam’al), Anatolien östlich des Amanus-Gebirges (Geoposition auf OSM), mit Orthostaten an den Innenwänden und in Kammern wie in Karatepe Aslantaş; links ein Plan des Tors in der Aufsicht. Einzelne dieser Orthostaten sind im Archäologischen Museum Istanbul ausgestellt (Bild 2012-12-21_6920).

 

Das Besondere an der Festung Karatepe Aslantaş ist, dass hier all die mühsam rekonstruierten Bildtafeln vor Ort belassen wurden und als Freilichtmuseum (allerdings unter seitlich offenen Dachkonstruktionen vor den Unbilden der Witterung leidlich geschützt) betrachtet werden können. An den anderen Fund- und Ausgrabungsorten finden sich meist nur noch in Grundmauern bauliche Reste, wenn nicht die historischen Strukturen gar zum Baumaterial jüngerer Gebäude wurden oder in glatt gepflügten Äckern oder Stauseen untergingen. Die dort gefundenen Bildtafeln wurden hingegen auf meist ferne Museen verstreut (insbesondere Archäologisches Museum Istanbul, Hethitermuseum Ankara, Vorderasiatisches Museum Berlin u.a.), wo sie aber nie im vollständigen Zusammenhang rekonstruiert werden konnten.

Die Bildwerke von Karatepe Aslantaş sind nicht unbedingt die schönsten und wertvollsten ihrer späthethitischen Art. Einzelne Exemplare anderer Provenienz sind sorgfältiger und künstlerisch hochwertiger ausgestaltet als die Karatepe-Bilder, die offenbar nicht einmal alle fertig geworden sind, sondern sich hin und wieder nur im Rohentwurf zeigen (dazu mehr im der nachfolgenden Bildanalyse). Die in Teilen der Torräume überlieferte bzw. von den Archäologen in einem unglaublichen Puzzle wieder hergestellte Vollständigkeit eröffnet aber ganz andere Ansatzpunkte für eine Deutung, als die solitär auf Museen (und wohl auch privaten Raubgräberbesitz) verstreuten „schöneren“ Orthostaten.

Die Deutung von 2.700 Jahre alten Kunstwerken ist eine heikle Sache. Man muss sich vor allem hüten, heutige Vorstellungen in die alten Bilder hineinzuprojizieren. Viel reizvoller ist es zudem herauszufinden, welche Gedanken, Gefühle, Wünsche, Hoffnungen und Ängste die Menschen damals originär bewegt haben könnten. Letztlich finden wir uns dann auch selbst in diesen Bildern wieder. Denn so sehr hat sich der Mensch seitdem nicht verändert. Er kennt heute zwar eine horrende Vielfalt von unglaublich miniaturisiertem und zugleich hochkomplexem elektronischem Spielzeug, mit dem er das eigene Nachdenken ersetzen kann, aber er möchte sich immer noch ohne Angst nachts auf die Straße trauen können, wie das schon der kilikische Herrscher Azitawada aus der Mopsos-Dynastie seinem Volk und insbesondere den Frauen seines Volkes versprochen hatte.

Der nun folgende Einstieg in die Interpretation der Bildwerke von Karatepe-Aslantas erfasst nur einen kleinen Teil der Tafeln, die in den beiden Toranlagen eine komplexe und wahrscheinlich viele Geschichten erzählende Galerie formen. Konkret werden gerade mal 10 der gut 100 Bildplatten eingehender angesprochen. Aber zugleich muss diese Untersuchung auch grundsätzliche Fragen des Zugangs stellen, die dann auch für das Verständnis der anderen Bildplatten relevant sein dürften: Von der Seevölkerschlacht zu den Lotosessern.