Alle Quellen zu den diversen Kilikien-Artikeln in diesem Website-Bereich – meist zitiert in Kapitälchen – sind auf einer besonderen Seite Literatur ausgewiesen.

Die Grundlegung des nachfolgenden Berichts im Rahmen der Kilikien-Exkursionsvorbereitung findet sich auf dieser Website hier: In Hephaistos‘ Werkstatt – Exkursion zu Kilikiens Vulkanen. Dort sind auch die Bezüge zu Homers Ilias entwickelt.

Und hier geht es zurück zur Kilikien-Übersicht.

 

Resultate aus Kilikien:

Vulkanismus in Homers Welt?


Übersicht:


 

Ohne die aus Ilias- und Raoul Schrott-Lektüre geborene Frage nach Vulkanismus in Kilikien wäre ich wohl kaum auf die Idee gekommen, dort nach vulkanischen Spuren zu suchen. Kein Reiseführer und keine Google-Abfrage (jedenfalls vor Publizierung der Beiträge auf dieser Website) wies darauf hin, dass es in Kilikien Vulkanismus gebe. Vulkanische Aktivitäten liegen hier auch nicht unbedingt ‚auf der Hand‘, weil in Kilikien keine Subduktion tektonischer Platten stattfindet. Denn vor allem an solchen Fronten finden wir die meisten vulkanischen Ereignisse.

Vulkanismus in Kilikien

Doch schaut man genauer hin (Abb. 1), so zeigt bereits die geologische Übersichtskarte im sehr groben Maßstab von 1 : 1,5 Mio. (IGK 1500) eine respektable vulkanische Fläche, die als pleistozäner basaltischer Vulkanismus ausgewiesen wird. Erdgeschichtlich folgt nach dem Pleistozän nur noch das Holozän. Das Pleistozän wird auf die Zeit ab 1,8 Mio. Jahre bis vor 10.000 Jahren bemessen.

geologische Karte von Kilikien mit Legende

Abb. 1: Vereinfachte geologische Karte Kilikiens mit Konzentration auf die erdgeschichtlichen Einheiten in den weiten Ebenen. In der rechten Bildmitte die hellrote Vulkanismusfläche am Golf von Iskenderun. Die geologischen Einheiten der umgebenden Gebirge des Taurus und Amanus sind nur summarisch dargestellt (nach IGK 1500 F6).

 

Schauen wir uns die Situation noch genauer an (Abb. 2). Die in der groben geologischen Karte angegebene vulkanische Fläche differenziert sich bei detaillierterer Kartierung in eine große und mehrere kleinere, die sich auffällig entlang einer weiträumigen Störung aneinanderreihen. Diese Störung spiegelt in etwa die Grenzen von aneinander vorbeischerenden tektonischen Platten wieder. Hier endet die nordöstliche Spitze der Afrikanischen Platte, die an der nach Südwesten driftenden anatolischen Platte entlangschrammt.

Differenzierung der vulkanischen Flächen in der geologischen Karte Kilikiens

Abb. 2: Ausschnitt aus der vereinfachten geologischen Karte der Abb. 1 mit genauerer Kartierung der vulkanischen Flächen entlang der KOFZ-Störung – Karataş-Osmaniye-Verwerfung (East Anatolian Fault-Zone)  – und Eintrag wichtiger Förderschlote (nach SE-Magmatism Arger 2000, Fig. 4, S. 466).

 

Im größten Lavafeld um den Delihalil Tepe lassen sich mindestens vier Zentren ausmachen, in denen Laven und vor allem Aschen gefördert worden sind.

Nordöstlich des Delihalil Tepe schließt sich der markant aus der Ebene aufragende Basaltvulkan an, auf dem die Burg Toprakkale errichtet wurde (Abb. 3), was soviel heißt wie „Burg auf festen Untergrund“.

Luftbild der Burg Toprakkale nebst Plan der historischen Anlage

Abb.3: Google Earth-Bild des Burghügels von Toprakkale nebst Plan der Burganlage, beide genordet (Plan und Beschriftung nach Artemis Cicerone 1984, S. 234 f). Der Basalthügel wurde erst in jüngster Zeit so stark bewaldet. Im zitierten Kunst-Reiseführer von 1984 ist auch die Nordseite des Burghügels noch völlig frei (S. 235), was sicherlich der historischen Situation besser entspricht.

 

Die Lavafelder in diesem Bereich von Delihalil Tepe und Toprakkale lassen sich auch heute noch als von Menschen nicht kultivierte, nur schwach bewachsene Flächen sehr gut aus Luftbildern abgrenzen (Abb. 4).

Konturierung der Lavaflächen um den Delihalil Tepe auf Google Earth-Grundlage

Abb. 4: Kartierung der im Google Earth-Satellitenbild erkennbaren Lavadecken. Benennung der auch im Satellitenbild gut sichtbaren vier Aschevulkane in der Delihalil-Formation nach Bulut 2008 Abb. 3.2.

 

Teilweise wirken die Laven sogar recht frisch. Auch die vier Förderzentren sind gut zu erkennen. Es handelt sich um den noch 490 m hoch aufragenden Vulkan Delihalil Tepe sowie drei unterschiedlich niedrigere Aschenvulkane, von denen der südlichste, der Kocahama Tepe mit 182 m am flachsten und damit wohl auch ältesten ist. Es folgen der Domuz Tepe im Westen mit 261 m und der Tüysüz Tepe im Nordosten mit 310 m, der trotz Einebnung seines Gipfels noch gut den ehemaligen Aschenkraterrand erkennen lässt. In das Gelände sind bislang kaum Nutzungen vorgedrungen. Lediglich östlich des Delihalil Tepe wurde ein großes Rechteck planiert, auf der das Industriegebiet von Osmaniye entstanden ist. Außerdem schneiden jeweils Abschnitte der um diese Vulkanregion zu einem Dreieck verflochtenen Autobahnen durch das Gelände: die O-53 (Otoyolu  53) im Süden, die O-52 im Norden und deren Verbindungsspanne (ohne Nummer) im Osten, die auch die Erschließung des Industriegebiets übernimmt.

Nach Nordosten hin zeigt sich eine Lücke in den Lavafeldern, hinter der sich zwei kleinere vulkanische Flächen anschließen: Der durch Erosion und Baustoffgewinnung arg dezimierte und schon angesprochene Vulkankegelrest von Toprakkale sowie ein Plateau südöstlich davon, das sicher in früherer Zeit mit dem Toprakkale-Kegel zusammenhing. Dieser Kegel muss die Laven produziert haben, die heute noch über dem miozänen Kalkuntergrund eine beständigere Decke bilden.

Einen Eindruck von dem riesigen Lavafeld, das in vielen Abschnitten aus einer Vielzahl von Kratern der beteiligten vier Vulkane gespeist wurde, zeigt Abb. 5 (Aufnahme während der Fahrt auf der südlichen Autobahn O-53 nach Westen). Die Fließstränge der Laven sind noch weitgehend ohne Vegetation. Lediglich in den ‚Tälern‘ dazwischen hat sich bereits ein loser Bestand an Buschbäumen entwickelt. Der Vulkangipfel ist fast auf ganzer Breite durch den Abbau der Aschen und Bimse ‚beschädigt‘ (die Nordseite ist bislang weniger angegriffen worden). Man sieht durch die mit dem Abbau entstandenen Aufschlüsse eine Lavadeckenstruktur, über die sich immer wieder Tuffe diverser Eruptionen gelegt haben.

Der Delihalil Tepe lässt sich gut von Nordosten her auf einer Piste anfahren. Das Auto lässt man am besten im Bereich der Einfahrt zum aktuellen Steinbruch stehen. Von dort finden sich nach Westen hin Pfade, auf denen man den gesamten Vulkan umrunden kann. Die aus dem Abbau der Schlacken und Bimse resultierenden Aufschlüsse fast rund um den Vulkan offenbaren eine Vielzahl von Eruptionen in der langen Vulkangeschichte. Unterschiedliche Farben signalisieren Lava-Varianten. Zwischengeschaltete Lavadecken zeigen, dass hier nicht nur Tuff (Bimse, Aschen, Schlacken, Bomben) eruptierten. In den Abbaugruben sind mehrfach die langen Scheiben von Dykes stehen geblieben, das sind die Förderkanäle, in denen die aufsteigenden Laven letztlich erstarrten und deren Gestein für das Steinbruchunternehmen offenbar nicht von Interesse war (Abb. 6).

Blick zurück auf die Routen der Heere

Vergegenwärtigen wir uns, dass das Interesse am kilikischen Vulkanismus aus der Frage entstand, wie ein Homer, der als Schreiber in assyrischen Diensten gestanden hat, dies Naturphänomen in Kilikien wahrgenommen haben könnte, um es dann in seiner Ilias als Götterschlacht zu verarbeiten.

Die assyrischen Invasoren, in deren Tross sich der Schreiber „Homer“ nach Raoul Schrotts Vorstellung aufhielt, kannten Vulkanismus vermutlich bereits aus dem Hauran, wo die riesigen Lavadecken bis an Damaskus heranreichen und wo Vulkane bis in die erdgeschichtliche Jetztzeit (das Holozän) eruptierten. Als die assyrischen Heere über die Syrische Pforte durch das Amanusgebirge in den Küstenstreifen am heute so genannten Golf von Iskenderun herabstiegen und hier der Küste nach Norden folgten, wurde ihr Vorwärtskommen alsbald auch hier durch weite Lavafelder behindert bzw. gelenkt. Dies Areal um den heute Delihalil Tepe genannten Hauptvulkan ließ sich schwer begehen und ist noch heute eine der wenigen Gegenden in Kilikien, in die (abgesehen von ein paar Schafen) Nutzungen nicht wirklich vorgedrungen sind. Lediglich für die große Industriezone von Osmaniye am Ostfuß des Delihalil Tepe wurden die Lavaflächen beiseitegeschoben und planiert, die ansonsten immer noch fast rundum anstehen. Auch die Autobahn, die zugleich diese Industriezone erschließt, wurde durch die Lavafelder gelegt.

Die vulkanische Pforte / Pass von Toprakkale in topografischer Karte und historischer Kartierung durch Janke

Abb. 7: Kartierung der ‚Vulkanischen Pforte‘ Anfang des 20. Jahrhunderts durch den Militärhistoriker Janke unter besonderer Hervorhebung der für passierende Heere kritischen Engstelle mit unbegehbaren Hängen, an denen sich die Straße über den Sümpfen entlangwindet. Links der Vergleich mit einer Höhenlinienkarte aus OpenStreetMap.

 

Die historischen Invasionsheere werden hingegen jener Trasse etwas weiter östlich der heutigen Autobahn gefolgt sein, die durch eine schmale Pforte zwischen sich noch immer hoch auftürmenden Lavadecken führte und die ich hier „vulkanische Pforte“ nennen will (Abb. 7). Für diese Engstelle kursieren unterschiedliche Namen. In der noch heranzuziehenden geologischen Literatur heißt sie z.B. „Gates of Issos“. Das beruht aber auf einer Fehlbezeichnung jener antiken Stadt, die südwestlich der Pforte vorgelagert ist und die vor Ort als „Isos“ ausgeschildert wird. Dabei dürfte es sich nicht um jenes Issos handeln, dass durch die Alexanderschlacht im Jahre 333 v.u.Z. berühmt geworden ist. Historiker nennen diese Stadt hingegen Epiphaneia (Hild Hellenkemper Band 1, S. 249 f).

Durch diese ‚Vulkanische Pforte‘ lief immer schon die Hauptroute zwischen Syrien/Palästina, der syrischen Pforte im Amanusgebirge und Kilikien. Die Engstelle wird gut aus einer historischen Zeichnung deutlich, die die Militärs Maréees und Janke 1904 angefertigt haben. Janke nennt die Örtlichkeit den „Pass von Toprak Kalessi“ und hebt damit auf die heute Toprakkalesi“ genannte Burg ab, die am nördlichen Ausgang der Pforte die Engstelle sehr gut überschaut und überwacht. Der andere von Janke verwendete Bezeichner – „Amanische Pforte“ nach den „Amanicae Pylae des Arrian“ – ist hingegen wieder missverständlich. Denn hier wird ja gar nicht das Amanusgebirge durchschnitten. Dies geschieht viel weiter südlich vorzugsweise mit dem Pass von Beilan, zu dem die Straße vom heutigen Iskenderun (historisch Alexandretta) hinaufzieht und den wir auch die „Syrische Pforte“ nennen.

Durch die vulkanische Pforte („Pass von Toprak Kalessi“) führte also seit langem eine Straße. Inzwischen völlig verschwundene Mauerreste zwischen den früheren Sümpfen, die Janke vor gut 100 Jahren noch so genau identifizieren konnte, dass er sie auf ca. 300 m Länge, 2,5 m Breite und 1,5 m Höhe bemaß, zeugten davon, dass diese Engstelle auch verteidigt wurde (Janke 1904 S. 37 f). Die sich am Rand unter den Basaltfelsen oberhalb der Sümpfe entlangschlängelnde Straße gibt es auch nicht mehr. Stattdessen hat man eine direktere vierspurige Schnellstraße durch die Pforte gebaut und durch einen Seitenast der Bagdadbahn ergänzt, der bis herunter nach Iskenderun führt.

Facetten des sogenannten ‚Toprakkale-Vulkanismus‘

Ein wesentlicher Beleg für die Vermutung, ein Homer in assyrischen Diensten habe auf dem Weg nach Kilikien Vulkanismus erleben können und diesen dann in seiner Ilias als Götterschlacht verarbeitet, wäre eine passende Datierung: Konnte dieser „Homer“ auf seinen militärbegleitenden Reisen mit Vulkanismus in Ostkilikien in Kontakt gekommen sein, als die assyrischen Heere entlang der Lavaflächen in die ‚vulkanische Pforte‘ gelenkt wurden? Zwar dürfte es für jeden, der schon einmal einen aktiven Vulkan erlebt hat, ausreichen, wenn er frische Lavafelder oder Schlackenvulkane sieht, um sich deren Entstehung zu vergegenwärtigen. Dennoch wären genauere Angaben auch nicht zu verachten.

Die verfügbaren geologischen Studien machen eine Antwort leider nicht einfach. Es gibt (nach meiner Übersicht) nur eine einzige Quelle, die sich mit der Datierung von Laven rund um die „vulkanische Pforte“ befasst (Abb. 8).

Lokalisierung der Lavaproben zum Toprakkale-Vulkanismus auf geologischer Karte

Abb. 8: Ausschnitt aus der vereinfachten geologischen Karte (wie in Abb. 2) mit Eintrag wesentlicher Probenahmestellen aus dem hier interessierenden Bereich des „Toprakkale-Vulkanismus“ (nach SE-Magmatism Arger 2000 Fig. 4, S. 466). Die lila Proben wurden von den Autoren aus einer früheren Studie übernommen (SE-Magmatism Bilgin 1981). Zu den blauen und roten Proben siehe Text.

 

Dieser Arbeit von Jan Arger et al (SE-Magmatism Arger 2000) verdanken wir zunächst eine Kartierung der vulkanischen Flächen u.a. in Ostkilikien (bereits in Abb. 2 wie auch hier in Abb. 8). Sie folgen unverkennbar jener großen SW-NO-Störung, die – je nach Literaturquelle – u.a. „Karataş Osmaniye Fault Zone“ (KOFZ), „East Anatolian Fault Zone“ (EAFZ) oder auch „Yumurtalık Fault Zone“ genannt wird und die die Plattengrenze zwischen den sich gegeneinander verschiebenden afrikanischen und anatolischen Platten signalisiert. Im Bereich des nach der Burg Toprakkale genannten Vulkanismus (die Burg ist selbst auf einem Vulkan errichtet) haben Arger et al einige Proben genommen und detaillierten chemischen Analysen unterzogen. Sie hatten die Gliederung der Proben in zwei Cluster unterschiedlicher magmatischer Provenienz zum Ergebnis. Im Fall der in Abb. 8 blau gefärbten Proben handelte es sich um Basalt, im Fall der rot gefärbten Proben um Basanit. In diese letztere Gruppe fallen auch die aus einer früheren Studie übernommenen Befunde (lila Punkte, Lokalisierung aus SE-Magmatism Bilgin 1981). Wir sehen somit Basaltflächen am Toprakkale Gipfel und südöstlich davon sowie Basanit-Flächen weiträumig um den Delihalil Tepe herum.

Eine derartige Klassifikation von Magmatiten durch chemische Analyse nimmt man üblicherweise in einem sogenannten TAS-Diagramm vor, das in der Vertikalen die Alkali-Anteile (Natrium und Kalium) und in der Horizontalen die Siliziumanteile des untersuchten Gesteins je in Gewichtsprozenten abträgt (Abb. 9; zur Diagramm-Konstruktion vgl. Le Maitre 2003). Danach handelt es sich um Magmen eindeutig unterschiedlicher Zusammensetzung. Über die daraus ggf. zu schließenden unterschiedlichen Herkunftsbedingungen soll hier aber nicht weiter spekuliert werden.

TAS-Diagramm zur Klassifizierung der Lava-Proben in Basalte und Basanite

Abb. 9: Klassifizierung der Magmen des ostkilikischen Vulkanismus im TAS-Diagramm. Es zeichnen sich zwei klare Zuordnungen ab – für die Proben aus dem Delihalil Tepe-Komplex im Bereich der Basanite, für den Toprakkale-Vulkan und die südöstlich angrenzenden Lavadecken im Bereich der Basalte.

 

Neben dieser Klassifikation einer größeren Probenmenge wurde zu vier Proben aus dem Raum Toprakkale auch das Alter bestimmt (Alterseinträge ebenfalls im TAS-Diagramm der Abb. 9).

Leider gibt es zu den ergänzend einbezogenen Proben aus der älteren Studie von Bilgin et al (SE-Magmatism Bilgin 1981) auf dem noch gut sichtbaren Aschenvulkan des Delihalil Tepe (lila Punkte in Abb. 8 und 9) keine Datierungen. Die datierten Proben von Arger et al hingegen stammen nur aus dem Umfeld dieses Aschenvulkans und dort vornehmlich aus tieferen (also älteren) Lagen. Sie repräsentieren also jedenfalls nicht die jüngsten vulkanischen Ergüsse. Das liegt wohl daran, dass Arger et al vor allem daran interessiert waren, wann dieser ostkilikische Magmatismus begonnen hatte. Die älteste Probe T4 datiert auf die Zeit vor 2,25 Mio. Jahren, die jüngste bei 0,61 Ma. Bei Berücksichtigung von systematisch bedingten Datierungsungenauigkeiten kommt auch eine maximale Spanne zwischen 3.0 und 0,5 Ma bzw. eine minimale Spanne von 1,7 bis 0,9 Ma in Betracht. Dennoch ist das eine enorm lange Zeit, wenn man sie mit dem Vulkanismus an anderen gut bekannten Örtlichkeiten vergleicht:

Neben die spärlichen Daten und ihre Begrenzung auf sehr alte Lavaschichten birgt die Studie von Arger et al zudem erhebliche Verwirrung, weil die kartierten Probenahmestellen (hiesige Abb. 8) nicht mit den Lokalitäten der ergänzend angegebenen Geodaten für diese Probenahmestellen übereinstimmen. Die Geodaten sind zwar nur auf Gradminuten genau (es fehlen also die Gradsekunden), das erklärt jedoch nicht die sehr auffälligen Abweichungen (insbesondere bei TS3) von der Darstellung in der Karte. Abb. 10 zeigt, wohin die Proben nach den in der Studie gemachten Geodatenangaben fallen.

Lokalisierung der Probenahmen aus dem Toprakkale-Vulkanismus auf topografischer Karte

Abb. 10: Lokalisierung der Probenahmen aus den in Arger 2000 angegebenen Geokoordinaten nebst Datierung (insbesondere gravierende Abweichung bei TS3 – vgl. Abb. 8, wo diese Lokalität als roter Punkt viel weiter südlich am Rande des Delilhalil Tepe-Lavafeldes angeordnet ist). Die blaue Umgrenzung deutet den Bereich der Basalte, die lila Umgrenzung den Bereich der Basanite an. Die beiden dicken Pfeile zeigen  mögliche Strömungsverläufe der beiden Lavatypen. Der Toprakkale-Vulkan war jedenfalls ein Förderzentrum der Basalte. Im Bereich der Basanite stechen vor allem die Aschenvulkane im Delihalil Tepe-Komplex hervor. Die Lava-Förderschlote lassen sich auf Grund der Überschüttung mit Aschen hier nicht so einfach wie beim Toprakkale-Vulkan bestimmen.

 

Jedenfalls sind mit dieser Lokalisierung die datierten Proben noch weiter entfernt von den im örtlichen Erscheinungsbild so dominanten und teilweise noch frisch wirkenden Lavaströmen rund um den Delihalil Tepe und seine Nachbarvulkane. Wir haben somit keine Daten für die jüngsten vulkanischen Ereignisse.

Nun kann also nur noch eine theoretische Erklärung des ostkilikischen Magmatismus‘ Hinweise zur Frage liefern, inwieweit er bis in Homers Zeit angedauert haben könnte. Eine solche Erklärung ist nicht ganz einfach, weil wir es zwar mit Plattengrenzen zu tun haben (die Platten scheren aneinander vorbei), nicht aber mit der Subduktion einer Platte unter eine andere. Damit entfallen die bedeutendsten Ursachen für die Aufschmelzung von Magmen, die im Zusammenhang mit Subduktion zu finden sind: Magmen werden unterhalb der Erdkruste vor allem deshalb zum Schmelzen und sodann zum Aufsteigen gebracht, weil durch den Druck der subduzierenden Platte sowie durch die von ihre mitgeschleppte Feuchtigkeit der Schmelzpunkt abgesenkt wird. Es muss also nach anderen Erklärungen gesucht werden, warum es im Untergrund des Iskenderun-Golfs zu einer Aufschmelzung von Magmen kommt.

Insofern werden wir in der Studie von Arger et al (SE-Magmatism Arger 2000) mit wunderlichen Hypothesen konfrontiert. Die Autoren koppeln nämlich den ostkilikischen Magmatismus ausdrücklich nicht an die dort so auffällige Plattentektonik („its volcanism has no direct relationship to local plate motions“), sondern schlagen eine ganz andere Ursache vor. Der örtliche Vulkanismus sei das Ergebnis von Belastungsschwankungen auf der Erdkruste, die im Wechsel von Eis- und Zwischeneiszeiten entstehen, die mit stark schwankenden Meeresspiegeln und damit unterschiedlichen Lasten auf der Erdkruste einhergehen. Steigende Meeresspiegel nach Abschmelzen von Eismassen hätten den Druck so erhöht, dass zähflüssige Unterkruste aus dem Meeresschelfbereich unter das angrenzende Land floss und dort entlang der Störungen in der Erdkruste aufstieg. Allerdings lässt sich mit dieser Hypothese gedanklich nur schwer in Einklang bringen, dass der Toprakkale-Vulkanismus just vor 2,25 Mio. Jahren begonnen habe, als parallel intensive Tiefland-Vereisung der nördlichen Hemisphäre anhob, die dann ja wohl eine Entlastung der Kruste durch sinkende Meeresspiegel zur Folge gehabt haben müsste?!

Wie auch immer – diese Überlegungen geben keine Anknüpfungspunkte für unsere Frage nach anhaltendem Vulkanismus bis in Homers Zeiten. Aber sie sind offenbar auch nicht mehr Stand der Forschung. In einer jüngsten Studie kehren deren Autoren zur Plattentektonik als Ursache zurück. Bağci et al (SE-Magmatism Bağci 2011) stellten fest, dass die sich gegeneinander verschiebenden Krustenkanten (beteiligt sind an dieser Stelle vor allem das Ende der afrikanischen und die anatolische Platte) sogenannte Transtensionen erzeugen. Das sind Erdkrustendeformationen, die im Zuge von Seitenverschiebungen entlang von Störungen grabenartige Senken oder Becken entstehen lassen (Veranschaulichung in Abb. 11).

Schaubild zu einer Transtension

Abb. 11 [Transtension.jpg]: Das „schräge Zerrungsbecken“ einer Transtension ist (neben Transpressionen und Aufreißbecken) eine Erscheinungsform in Raum von Transform-Störungen, wo Erdkrustenteile in Gegenrichtung aneinander entlangschrammen (Frisch/Meschede 2007 S. 134)

 

Diese Ausdünnung der Erdkruste durch Transtension führe zu einer Druckentlastung im Mantelbereich, der ob dieser Dekompression seinen Schmelzpunkt erreiche und aufgeschmolzene Magmen entlang der Störungen aufsteigen lasse, die dann als Vulkane zutage treten.

Insofern könnten wir nun sagen: Da die an der Störung (strike slip fault) gegeneinander gerichteten Krustenbewegungen unverändert wirksam sind, wirken auch die Kräfte unverändert weiter, die zu den genannten Transtensionen führen. Kilikischer Vulkanismus wäre danach weiterhin aktuell. Homer könnte ihn prinzipiell erlebt haben. Mehr lässt sich leider angesichts der Quellenlage nicht sagen. Ggf. würde es helfen, das Gelände der weiten Vulkanfelder genauer zu durchwandern und zu studieren, was auch für sich sicherlich unterhaltsam ... und beschwerlich wäre.

Das Alter der ‚vulkanischen Pforte‘

Bleibt eine letzte Frage, die für den Kontakt assyrischer Heere mit kilikischem Vulkanismus relevant ist: Können wir davon ausgehen, dass die „vulkanische Pforte“ auch schon zu Homers Zeiten existiert hat, so dass all die Heere entlang der kaum passierbaren Lavafelder in diese gefährliche Engstelle geleitet wurden?

Der bereits zitierte Ex-Militär und Entdecker A. Janke (vgl. Abb. 7) beschrieb Anfang des 20. Jahrhunderts die Engstelle seines „Passes von Toprak Kalessi“ als 250 m eng, 2 km lang, steil, mit einer tonhaltigen Erdabdeckung und Sümpfen darin, so dass sich die passierende Straße am östlichen Rand etwas erhöht entlangschlängeln musste (Janke 1904 S. 37 f). Hat er nun am Schuttfuß gemessen oder an den prägnanten Kanten der Lavadecke oben, die so abrupt abbrechen? Die liegen heute eher 400 m auseinander (auf 400 m lautet auch die Breitenabschätzung in der geologischen Studie von Arger et al S. 467). Viele große Brocken im Hang zeugen von heftiger Erosion, die innerhalb erdgeschichtlich kürzester Zeit die Situation stark verändern könnte. Immer wieder brechen von dieser Lavadecke mächtige Stücke ab und rollen herunter. Daher lässt man nur die Ärmsten der Armen in ihren Plastikbahnenzelten in dieser Gefahrenzone siedeln, die als billige Arbeitskräfte in der türkischen Landwirtschaft dienen (Abb. 12).

Angesichts der Steilheit der Passflanken und der sichtbaren Erosion der Lavadecken sowie der divergierenden Breitenangaben zwischen heute und vor gut einem Jahrhundert könnte man annehmen, dass dieser Pass zu Homers Zeiten noch gar nicht existiert hat. Andererseits hat Janke noch eine „300 m lange“ Mauer quer durch die Pass-Enge gesehen, die er als „antik“ einschätzte.

Die Geologen des Teams von Arger et al (SE-Magmatism Arger 2000) haben ferner gravierende menschliche Eingriffe vermerkt, die das Gelände umgestalteten. Sie hielten zum Toprakkale-Vulkangipfel fest „which has lost its natural shape due to quarrying and construction work“. Hinzu kamen große Verkehrsbauten, vor allem der Bagdadbahn und des Schnellstraßendreieck um den Toprakkale-Vulkan, die sich ihren Platz schufen und es heute unmöglich machen, die Ströme der Toprakkale Laven zu bestimmen. Nur aus den chemischen Analysen der Proben wissen wir, dass zwischen dem Toprakkale Vulkan und dem Plateau der östlichen Passflanke eine Verbindung bestanden haben muss, weil diese Laven die gleiche chemische Zusammensetzung aufweisen (das betrifft die Proben T4, T1, T2 und T8 in Abb. 10). Außerdem konnte im Bereich der östlichen Passflanke kein Förderschlot entdeckt werden. Deshalb muss diese Lavadecke aus dem Toprakkale Vulkan gespeist worden sein.

Andererseits hatten wir festgestellt, dass die Laven beidseits der ‚vulkanischen Pforte‘ unterschiedlicher Herkunft sind (östlich Basalt, westlich Basanit – vgl. Abb. 9). Es ist also denkbar, dass diese Lücke nie durchgängig geschlossen war und eins der kilikischen Gewässer nicht nur die Verbindung zwischen dem Toprakkale Vulkan und der östlichen Passflanke aufgerissen hat, sondern vor allem im Bereich des heutigen Passes selbst, also zwischen den Enden der unterschiedlichen Lavaströme einen Durchbruch gefunden hat, den es allmählich weiten konnte. Die Geologen im Team von Arger et al schätzen die Ausbildung der Schlucht auf den Zeitraum jünger als 600.000 Jahre ein (S. 471). Diese unmäßig grobe Angabe ist aber nur daraus begründet, dass sie die jüngsten Proben in den tieferen Lavadecken auf diese lang zurückliegende Zeit datiert haben. Für unsere Frage ist das kein relevanter Beitrag.

So muss es hier abschließend beim Hinweis auf eine andere Geschichte bleiben, in der die vulkanische Pforte oder der Pass von Toprak Kalessi eine wichtige Rolle im Kontext jener legendären Schlacht bei Issos spielt, die gerade mal gut drei Jahrhunderte nach Homer stattfand.

Aber das ist wirklich eine andere Geschichte. Sie ist hier nachzulesen: drei drei drei – bei Issos Keilerei.

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