Exkursionsberichte aus Griechenland 2019
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Die im Bericht angesprochenen Literaturnachweise sind einer PDF-Datei angehängt, in der alle Berichte zur Exkursion 2019 in einer druckfähigen Version zusammengestellt werden: Exkursionsberichte Griechenland 2019-I (16 MB).

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Midea – Die verborgene Burg

Die mykenische Burg von Midea am Ostrand der argolischen Ebene wird zu Unrecht von der griechischen Tourismussteuerung vernachlässigt, weshalb sich nur selten Besucher auf die schmale Straße hinauf verirren. Allein der fantastische Blick lohnt schon den Weg, aber auch die reich blühende Botanik und natürlich die Zyklopenmauern mit den eingeschlossenen, von Archäologen freigelegten historischen Spuren. Hier zunächst ein Übersichtsplan mit Eintrag der Wege und Pfade im Gelände (Abb. 1):

topografische Übersichtskarte von Midea

Abb. 1: Gesamtplan der mykenischen Festung Midea mit archäologischen Grabungsfeldern, im unteren Teil mit einem Höhenplan der Oberburg überlagert. 1 Häuserreste (MH und mykenische Zeit), 2 Baukomplex mit Megaron-ähnlichem Zentrum (MH bis LH II-IIIC – 17. 12. Jh.), 3 Gebäudekomplex an der nordöstlichen Festungsmauer (LH III B2 = 2. Hälfte 13. Jh. sowie spätrömische Zeit), 4 Untere Akropolis (LH III B2 = 2. Hälfte 13. Jh.), 5 vermutetes „Ausfalltor“ („Syrinx“ – Gang unter die Mauer), 6 Gebäudekomplex an der Südmauer (2. Hälfte 13. Jh.), 7 Westtor mit äußerer Rampe unterhalb einer Felswand, 8 Reste prämykenischer Siedlungen (5. bis 3. Jt.), 9 Felsgipfel der Oberburg bei 268 m NN mit herrlicher Aussicht, 10 ausgebaute Terrasse im Fels über dem steilsten Felshang, 11 Gebäude an der nordöstlichen Festungsmauer (LH III B2 = 2. Hälfte 13. Jh.), 12 inneres Tor zur oberen Akropolis, 13 Osttor mit rezentem Treppenabstieg zurück zum Empfangsgebäude. Quellen: Midea 2012 S. 16, örtliche Infotafeln.

 

Die Festung lehnt sich an einen Richtung Süden steil abfallenden Kalkfelsen an, der sich selbst wegen seiner scharfkantigen Verkarstungsstrukturen kaum für bauliche Nutzungen geeignet haben dürfte. Lediglich an einer Stelle (Nr. 10 im Plan der Abb. 1) wird erkennbar, dass man hier eine Glättung der Felsen zu einer Felsterrasse vorgenommen hat. An einer solchen Stelle stand in Mykene das Megaron des Palastes. Reste einer aufgehenden Bebauung sind hier aber nicht mehr feststellbar.

Den etwas flacheren nördlichen Hang mit ca. 2,4 ha Fläche haben die ‚Mykener‘ mit einer Zyklopenmauer eingeschlossen, innerhalb derer bislang Teile einer über zwei spätmykenische Jahrhunderte reichenden Bebauung archäologisch freigelegt werden konnten. Die bis zu 7 m breite Mauer ist noch in Höhen bis zu (ebenfalls) 7 m erhalten. Angesichts dieser Monumentalität wirken die sich innen an die Mauern anlehnenden Baulichkeiten nachgerade unmaßstäblich winzig. Wenige bauliche Reste am Nordhang der Oberburg (Nr. 8 im Plan der Abb. 1) reichen sogar in vormykenische Zeit (also früher als 1600 vC) zurück.

Die beiden Haupttore schmiegen sich an die Felskanten der Oberburg an. Das schwer befestigte, auf die Argolis-Ebene ausgerichtete Westtor am Ende der Südmauer war nur über eine Rampe im sehr steilen Gelände erreichbar (Abb. 2). Zugänglicher war das (ähnlich wie in Tiryns) der Ebene abgewandte Osttor, durch das man heute über einen neu ausgebauten vorgelagerten Treppenweg die Burg nach ihrer Besichtigung wieder verlassen kann (Abb. 3). Auch hier habe – ähnlich dem Osttor von Tiryns – eine äußere zyklopische Rampe zum Tor geführt. Weitab der beiden Haupttore führte im Norden der Anlage ein Gang unter der Mauer nach außen (Nr. 5 im Plan der Abb. 1), der nach bisheriger Interpretation als Notfalltor gedacht war und insofern dem Fluchttor am äußersten Ende der Burg von Mykene ähneln soll (eine andere Deutung folgt weiter unten). Dies in Mykene erst in einer späten Phase ergänzte Nottor ist hier in Midea aber integrierter Teil der Maueranlagen, die insgesamt erst zu jener spätmykenischen Zeit errichtet wurden (Midea 2012, S. 12), als Bedrohungen offenbar zunahmen und deshalb die Nottor-Ergänzung in Mykene entstand.

Die Anlage begeistert im Frühjahr mit ihrer opulenten Blütenpracht und einer Vielzahl von Insekten (Abb. 4). Es ist allerdings zu hoffen, dass hin und wieder eine Mahd durchgeführt wird, um eine Überwucherung der Grabungen zu begrenzen. Denn schon ein bis zwei Jahre nach Beendigung eines Feldes der noch laufenden Grabungen ist dies bis zur Unkenntlichkeit von Vegetation überzogen und bleibt nur noch durch Seilabspannungen um das tiefer liegende Grabungsfeld erkennbar.

Ebenso überragend ist die Aussicht in die Argolis, während aus der Argolis heraus diese auf natürliche Weise getarnte Anlage auf einem Kalkfelsen vor der noch höheren Kulisse der östlichen Randberge kaum auszumachen ist.

Die Anlage ist umzäunt und wird von einem Wächter im Empfangsgebäude behütet. So freundlich es ist, dass für den Besuch kein Eintritt genommen wird, so unverständlich ist dies in Hinblick auf die entstehenden Unterhaltungs- und Wächterkosten. Man sollte sich daher zumindest den gedruckten Führer durch die Anlage kaufen – denn auch der ist eine Ausnahme, weil für viele wichtige historischen Stätten ein solcher Führer nicht (mehr) angeboten wird.

Die Burg von Midea wirft einige Rätsel auf:

1.    Welche Funktion hatte diese Anlage angesichts der eng beiein­anderliegenden mykenischen Burgen in der Argolis? Die Mythologie berichtet, die Burg sei von dem legendären Perseus von Tiryns her begründet worden, der auch Mykene ummauert habe (vgl. dazu „Griechische Mythologie“ auf homersheimat.de, Abschnitt 5 – PDF-Datei).

archäologischer Grabungsplan des Megaron von Midea

Abb. 5: Megaron-artiges Gebäude von Midea mit zwei Bauphasen. Die Stellung der vier Säulen vor der Zerstörung und dem verkleinerten Wiederaufbau ist rot hervorgehoben (nach einer örtlichen Infotafel).

 

Die zyklopischen Mauern sind jenen von Tiryns und Mykene vergleichbar. Im Komplex 2 am nördlichen unteren ummauerten Hang (vgl. Abb. 1) hat man auch ein Megaron-artiges Gebäude gefunden (Abb. 5). Dieser Kernraum einer mykenischen Palastanlage mit typischer zentraler Feuerstelle, umgeben von vier Säulen, ist nicht nur wegen der schnellen Überwucherung der Grabungsfelder nicht mehr als solcher wahrnehmbar. Wie in Tiryns (vgl. den Tiryns-Bericht) sei auch das Megaron von Midea nach der Zerstörung der Anlage durch ein Erdbeben mit nachfolgendem Brand gegen Ende der mykenischen Periode verkleinert wieder aufgebaut worden. Es entstand ein etwas schmalerer, ca. 14 x 7,5 m großer Raum mit einer zentralen Säulenreihe zur Stützung der Decke. Da auch Fragmente von Wandmalereien in mehreren Gebäuden, einige Linear B-Tafeln sowie Werkstätten nicht nur für Töpferware, sondern auch zur Herstellung wertvolle Gegenstände etwa aus Elfenbein gefunden wurden, sieht man heute eine mit Tiryns und Mykene vergleichbare Relevanz dieser Anlage (Demakopoulou 2015). Ob sich allerdings die drei Burgen die Herrschaft über die Argolis geteilt haben oder unter einer Ägide standen, ist (noch) nicht klärbar.

2.   Völlig offen scheint mir, wie sich diese große und besonders lange, nämlich über fast die gesamte Bronzezeit besiedelte Anlage mit Wasser versorgt hat. Anders als in Tiryns oder Mykene, wo Quellen aus der Burg heraus über befestigte Stollen erreichbar waren, ist hier eine solche gesicherte Erschließung von Trinkwasserressourcen nicht nachgewiesen. Auch der letzte, die gesamte Grabungsgeschichte Revue passierende und bis zu neuesten Grabungsbefunden reichende Bericht (Demakopoulou 2015) thematisiert dies wesentliche Problem nicht.

Dabei gibt es durchaus eine Parallele zu den Quellstollen von Tiryns und Mykene: im Westen der Anlage hat man eine Untertunnelung der Zyklopenmauer freigelegt, die bislang als „Ausfalltor“ (sally port / syrinx) bezeichnet wurde (Nr. 5 in Abb. 1). Dessen gewölbeartige Übermauerung (Abb. 6) ähnelt aber nicht den Ausfalltoren der beiden Nachbarfestungen (Tiryns: westliche Burgerweiterung, Mykene: nordöstliche Burgerweiterung), sondern den dortigen, durch Zyklopenmauerwerk überwölbten Stollen zu örtlichen Quellen. In Midea konnte man diesem Gang nur 4,5 m weit folgen, weil sein Gewölbe im weiteren Verlauf zusammengebrochen ist. Seine Weiterführung ist also nicht geklärt.

3.    Auch die für Palastorte der mykenischen Zeit typischen Grabanlagen sind im unmittelbaren Umfeld nicht zu finden. Es gibt allerdings eine räumliche Beziehung zur großen mykenischen Nekropole von Dendra, die sich knapp 2 km nordwestlich vor dem nächsten vorgeschobenen Kalkberg des Argolis-Ostrandes ausbreitet. In diesem Kontext präsentiert sich die Burg von Midea in einer faszinierenden topografischen Symmetrie: Sie besetzt die südöstliche und höchste Spitze eines Quadrupels von Kalkbergen, die aus der Schwemmland­ebene als Inselberge herausragen. Genau in der Mitte dieser Anordnung erhebt sich ein fünfter Hügel, auf dessen Westhang seit frühmykenischer Zeit die Nekropole von Dendra angelegt wurde (Abb. 7).

topografischer Plan des Umfeldes von Midea und Dendra

Abb. 7: Die mykenische Burg Midea auf dem südöstlichen Berg eines Quadrupels von Inselbergen am östlichen Rand der argolischen Ebene; genau in der Mitte ein fünfter Hügel, dem mit Ausrichtung nach Westen zur untergehenden Sonne die Nekropole von Dendra vorgelagert ist (Kartengrundlage: OpenTopoMap; die Höhenangaben sind mit Ausnahme von Midea ca.-Werte).

 

Spätmykenische Grabanlagen aus der Zeit des Ausbaus von Midea als Festung wurden in Dendra nicht gefunden, was ebenfalls nicht für einen Herrscherpalast in Midea spricht. Die größte und jüngste Anlage ist ein kleineres Tholos-Grab mit 7,3 m Durchmesser und 17,9 m langem Dromos, das man auf das Jahrhundert vor Errichtung der Midea-Zyklopenmauer datiert hat. Die zahlreichen weiteren Schachtgräber, meist mit Dromos, sind noch deutlich früher einzuordnen.

Dennoch ist Dendra ein bedeutender Fundort, der einiges über frühmykenische Geschichte erzählt. Das kann man vor Ort auf zahlreichen Infotafeln sowie im Archäologischen Museum von Nafplio studieren. Zu den besonderen – und in diesem Fall einmaligen – Funden zählt ein frühmykenischer Panzer (Kürass), dessen Bronzebleche wohl auf ein Lederwams genäht waren (Abb. 8). Er wird im Museum mit der Teilrekonstruktion eines Eberzahnhelmes ausgestellt.

Ob diese aus dem minoischen Kreta entlehnte Applikation von Eberzähnen auf einer Lederkappe tatsächlich zum Fundkontext des Panzers gehört, bleibt aber offen. Denn eigentlich eignete sich ein solcher Helm, für den 75 Eber gejagt werden mussten (Borchhardt 1977, E 6), um an die nötige Anzahl Hauer zu gelangen, nur für die repräsentative Ausstattung eines führenden Kriegers, nicht aber für den harten Kampf und schon gar nicht für die Ausstattung ganzer Truppeneinheiten.

Ein weiterer bedeutender Fund ist das Grab von drei Pferdepaaren, das auf den Einsatz vor Streitwagen hindeutet. Diese waren ein wesentlichen Symbol für Macht und Ansehen in der mykenischen Gesellschaft.

Michael Siebert, Juli 2019

 

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