Exkursionsberichte aus Griechenland 2019
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Die im Bericht angesprochenen Literaturnachweise sind einer PDF-Datei angehängt, in der alle Berichte zur Exkursion 2019 in einer druckfähigen Version zusammengestellt werden: Exkursionsberichte Griechenland 2019-I (16 MB).

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Mykene – Agamemnons Reich?

Abb. 1(rechts): Die vier Tholos-Gräber im Umfeld der Burg von Mykene in ihrer zeitlichen Errichtungsreihenfolge über zwei Jahrhunderte hinweg zwischen Anfang 15. und Ende 14. Jh. – jeweils mit Blick in den Dromos. V.o.n.u.: „Aigisthos-Grab“ > „Löwen-Grab“ > „Klytaimnestra-Grab“ > „Schatzkammer des Atreus“.

 

Die berühmte Burg von Mykene mit ihrem „Löwentor“ ist ein Jahrmarkt der Busse, Buden und Selfie-produzierenden Selbstbespiegler. Es ist begrüßenswert, dass wohl jeder griechische Schüler irgendwann einmal durch diese Anlage geführt wird. Ob aber solch einheimische junge Besuchergruppen im hektischen Trubel auf dem Rundweg durch die Anlage, umgeben vom Massentourismus aus Australien bis China, tiefere Einsichten mit nach Hause nehmen, mag bezweifelt werden. Ein hilfreicher gedruckter Führer durch die Anlage steht jedenfalls nicht (mehr) zur Verfügung.

Stattdessen werden Besucher mit plakativen Namen konfrontiert, die alles andere als erkenntnisfördernd sind. So können am Südhang des Bergsattels vor der Burg angeblich die Tholos-(Kuppel-)Gräber von Klytaimnestra und Aigisthos besichtigt werden (Abb. 1). Das sind eindrucksvolle Rundbauten, viel größer als jene bei Midea oder Tiryns. Die Benennung des einen Grabes (röm. III auf den örtlichen Infotafeln – vgl. zu allen diesen Infotafelbezügen Abb. 2) nimmt Bezug auf Klytaimnestra, die Ehefrau des mykenischen Königs Agamemnon, der laut Homer die vereinigten Griechen vor Troia angeführt hat. Während dessen zehnjähriger Abwesenheit im Krieg habe sich jener Aigisthos an Klytaimnestra herangemacht und den Thron usurpiert. Beide zusammen ermordeten Agamemnon nach dessen Rückkehr, was zur Rache des Sohnes Orest führte usw. usf. Wesentlich ist: nach der Mythologie lebten Klytaimnestra und Aigisthos gleichzeitig. Die beiden nach ihnen benannten Gräber sind aber ganz unterschiedlich zu datieren.

Wie bereits die Ausführung des „Aigisthos-Grabes“ aus grobem Bruchstein signalisiert (röm. II auf den örtlichen Infotafeln), ist dies wesentlich älter als das in sauber behauenen Steinquadern ausgeführte „Klytaimnestra-Grab“, das als jüngster Tholos im Areal von Mykene gilt und dessen Bauzeit man vage auf ca. 1300-1220 vC datiert. Demgegenüber ordnet man das „Aigisthos-Grab“ mindestens 100 Jahre älter ein (frühes 15. Jh). Zu alt für eine Begräbnisstätte der zugeschriebenen Akteure sind sie beide, wenn man nach archäologischen Befunden den Untergang Troias etwas nach 1200 einordnen will.

Gesamtplan der Burg von Mykene

Abb. 2: Gesamtplan von Mykene nach einer örtlichen Infotafel. In Rot sind Anlageteile römisch und Infotafeln im Burgbereich arabisch nummeriert. Grün ist die zeitliche Abfolge der Grabanlagen gekennzeichnet, beginnend mit der ältesten Anlage: 1 (IV) Gräberrund B nav rechts 2 (3) Gräberrund A nav rechts 3 (VII, II) „Löwengrab“ und „Aigisthos-Grab“ nav rechts 4 (III) „Klytaimnestra-Grab nav rechts 5 (VIII) „Schatzhaus des Atreus“ (unterhalb des Darstellungsbereichs).

 

Noch akkurater gefertigt ist das sog. „Schatzhaus des Atreus“, einen halben Kilometer unterhalb der Burg am Hang neben der heutigen Zufahrtsstraße gelegen (röm. VIII auf den örtlichen Infotafeln; Abb. 2). Es ist mit 14,5 m Durchmesser an der Basis und einer atemberaubenden Höhe des Kraggewölbes von 13,5 m zugleich das größte aller Kuppelgräber. Atreus war in der Mythologie der Begründer des Atridengeschlechts und Vater von Agamemnon sowie dessen Bruder Menelaos, König von Sparta. Abgesehen davon, dass die Benennung als „Schatzhaus“ eher die Gier nach den Schätzen zum Ausdruck bringt, die in solchen Grabanlagen den Verstorbenen beigegeben wurden, passt auch dessen Datierung in die gleiche Zeit wie das „Klytaimnestra-Grab“ nicht so recht zur genealogischen Einordnung des Namensgebers (Abschätzung der Bauzeit um 1250 vC).

Beim vierten Tholos-Grab von Mykene, das am Nordhang des Bergsattels vor der Burg gelegen ist (röm. VII auf den örtlichen Infotafeln), ging den Namensgebern wohl die Phantasie aus. Wer sich fragt, warum dies Tholos „Löwen-Grab“ heißen mag, bekommt von der zuständigen Infotafel eine platte Antwort: weil es nahe am „Löwentor“ liege. Selbst das stimmt nicht, weil das „Aigisthos-Grab“ dem „Löwentor“ deutlich näher ist. Die Infotafel datiert dies Grab – wie schon das dem Aigisthos zugeschriebene – auf frühes 15. Jh.

Nur die beiden jüngsten Gräber („Klytaimnestra“ und „Atreus“) präsentieren sich mit vollständiger Kuppel aus sorgfältig gefügtem Quadermauerwerk, die allerdings in den oberen Teilen jeweils restauriert wurde. Bei den beiden älteren Rundgräbern hat man die fragile Rekonstruktion aus Bruchstein gar nicht erst versucht. Insgesamt boten die vier Tholos-Gräber vor der Burg (Abb. 1) genug Raum, um einige große Herrscher Mykenes über 2 Jahrhunderte der Hoch- und Endphase dieses Herrschaftssystems zu beerdigen – wie auch immer diese geheißen haben mögen.

Weitere Grabanlagen bezeugen zudem die frühere Geschichte Mykenes zurück bis zu den Anfängen seiner Kultur um 1650. In frühmykenischer Zeit hat man Schachtgräber angelegt, deren Bautyp bereits in die frühe Bronzezeit zurückgeht. Die Schachtgräber von Mykene waren mit kostbaren Grabbeigaben ausgestattet, die heute die Sammlung des Nationalmuseums von Athen füllen (vgl. dazu den Exkursions-vorberei­ten­den Text „Erzlagerstätten“ auf homersheimat.de, Abschnitt 2 – PDF-Datei). Spätere Generationen haben diese Gräber über Jahrhunderte hinweg geehrt. Die zwei gefundenen überschütteten Gräberkomplexe wurden jeweils mit einer runden Ummauerung markiert, auf die einzelnen Gräber wurden Grabplatten gesetzt, gestaltet mit Motiven aus dem Leben der Ahnen (Abb. 3).

Da sich Schliemann vor allem für die Gräber innerhalb der Burgmauern interessierte, wurden diese „Gräberrund A“ genannt, obgleich sie jünger sind als die Gräber unterhalb auf dem Bergsattel, die dann „Gräberrund B“ hießen. Die Nutzungsdauer der jeweils mehrfach belegten Grabanlagen überlappt sich etwas. Sie wird für B auf 1650 bis 1550 und für A auf 1580 bis 1510 abgeschätzt.

Aus all diesen mehr oder weniger groben Datierungen ergibt sich eine zeitliche Abfolge, wie sie in Abb. 2 grün eingetragen ist: In frühmykenischer Zeit (= Beginn der späten Bronzezeit) begann man ab ca. 1650 die Anlage von Schachtgräbern auf dem Bergsattel vor dem Burghügel, über dessen damalige Bebauung man nichts weiß. Das war 300 Jahre vor Bau der Oberburg-Zyklopenmauer aus Kalkstein! Ca. 70 Jahre später begann man etwas oberhalb des Sattels die Anlage weiterer Schachtgräber – im späteren „Gräberrund A“, ca. 230 Jahre vor Bau der Oberburg-Mauer und 330 Jahre vor Einbezug dieser Grabanlagen in die zyklopische Ummauerung der Unterburg.

An der Schwelle zum 15. Jh. vollzog sich der Übergang vom Schacht- zum Kuppel- bzw. Tholos-Grab. Ein ovaler Zwischentyp, der bereits vor 1500 errichtet wurde, ist auf dem Velatouri-Hügel von Thorikos an der Ostküste Attikas zu besichtigen (vgl. Bericht zu Thorikos). In Mykene wurden nun im Zuge dieser baulichen Entwicklung Anfang des 15. Jh. (also 14XX) zwei Kuppelgräber mit langem Dromos fast symmetrisch beidseits des Bergsattels und zwischen den beiden Schachtgräberanlagen errichtet, die heute „Löwengrab“ bzw. „Aigisthos-Grab“ genannt werden (grüne 3-er in Abb. 2). Mit dem frühen 15. Jahrhundert befinden wir uns noch immer in einer Zeit, in der das ‚minoische‘ Kreta seine Hegemonie über die Ägäis und große Teile Festlandgriechenlands ausübte. Selbst nach der mit Eroberung Kretas durch festlandgriechische Stämme verbundenen Wende um 1450 dauerte es noch an die 100 Jahre, bis die berühmten Zyklopenmauern der Oberburg von Mykene entstanden und die Kraft souveräner Herrscher über die Ägäis zum Ausdruck brachten. Auf dem Höhepunkt seiner Herrschaft wurde 100 Jahre später (um 1250) die gewaltige Zyklopenmauer der Unterburg aus Konglomeratgestein errichtet, in die auch jenes „Löwentor“ eingebunden ist. Das mit einer aufwändig-rätselhaften runden, begehbaren Umbauung markierte „Gräberrund A“ war nun Teil der Burganlage.

Die beiden letzten, größten und vollendetsten Tholos-Gräber fallen also erst in die Hoch und Endphase der Zyklopenburg von Mykene. Beim Bau des „Klytaimnestra“-Tholos (Nr. 4 grün bzw. III rot in Abb. 2) nahm man wenig Rücksicht auf das „Gräberrund B“, dessen Nutzungsende bereits über 300 Jahre zurücklag – die Kreise überlappen sich. Für den Tholos „Atreus“ (Nr. 5 grün bzw. VII rot in Abb. 2) war dann auf dem Sattel vor der Burg kein Platz mehr. Für diese gewaltige Anlage, die über 1300 Jahre bis zum Bau des Pantheon in Rom der größte Kragbau der Antike bleiben sollte (Wikipedia-Sicht), wurde ein völlig neuer Ort weit unterhalb des inzwischen mit Gräbern, Burg und umliegender Besiedlung ausgeschöpften Geländes von Mykene gewählt. Diese aus Platzmangel am Sattel bedingte Ortswahl legt im Übrigen nahe, in diesem, dem „Atreus“-Grab, das letzte in der Reihe der Tholos-Gräber Mykenes zu sehen.

Blick aus der Burg von Mykene in die Argolis-Ebene

Abb. 4: Blick aus der Burg von Mykene durch das Chavos-Tal in die argolische Ebene (Bildhintergrund). In der Mitte des oberen Bildrandes ist der Burgberg von Argos zu erkennen, links davon Teil des argolischen Golfs. Nafplio, Tiryns und Midea sind aus dieser zurückgenommenen Lage in einem Seitental am Ende der Ebene nicht zu sehen. Die Bastion am rechten Bildrand wurde erneuert und trug in ihrer originalen Form einst das Megaron des Palasts – steil über dem Abgrund des tief ins Gestein geschnittenen Chavos-Bachs. Die Busse links neben der Bastion stehen vor dem größten Tholos-Grab „Atreus“, dessen Dromos und Hügel durch die Bäume lugt. Das Plateau vor der Megaron-Bastion trägt Teile der Unterburg. Im hinteren Grün des Chavos-Tals befand sich der mykenische Stausee, der im nachfolgenden Text Erwähnung findet.

 

Nach diesem baulichen Höhepunkt brach die mykenische Kultur zusammen. Das Gelände in und um die Burg wurde nur noch in reduzierterem Umfang genutzt. Ähnlich wie in Tiryns traten kultische Bauten an die Stelle der herrschaftlichen Festung. Auf dem Gipfel des Burgbergs ist eine Abfolge kleiner Tempelbauten aus geometrischer, archaischer und hellenistischer (nicht aber klassischer) Zeit bezeugt, von denen heute nur noch rare Grundmauerreste verblieben sind.

Unterhalb des Gipfels ist irgendwann das mykenische Megaron den Steilhang hinabgerutscht– die heutige Untermauerung des Megaron ist eine Rekonstruktion (Abb. 4).

Vom legendären König Agamemnon erzählt in der Burg von Mykene, in ihren vorgelagerten Gräbern und in den ausgedehnten Siedlungen um die Anlage nichts. Nicht einmal eine der Tholos-Bauten wurde nach ihm benannt. Eine Erinnerung an diesen mythischen König wurde erst Jahrhunderte später gepflegt; sie war womöglich bereits von Homers Erzählungen beeinflusst. Darauf deuten Ausgrabungen in einem rechteckigen Gebäude hin, das unmittelbar an jenem Stausee stand, den die Mykener im Chavos-Tal angelegt hatten. Die Staumauer aus zyklopischen Steinen diente auch als Brücke im Zuge einer wichtigen Wegeverbindung.

Dies Gebäude wurde „Agamemnoneion“ genannt und sei einer der wichtigsten Schreine in historischer Zeit nahe Mykene gewesen (vgl. den Plan in Abb. 5 oben). Die Stratigraphie, die bei diesen Ausgrabungen aufgedeckt wurde, verdeutlicht Nutzungen des Gebietes von der spätgeometrischen (ca. 700 vC) bis zur hellenistischen Periode (ca. 2. Jahrhundert vC). Die frühe Form des Schreins bleibt unklar. In der hellenistischen Zeit wurde er jedoch repariert und in ein Temenos umgewandelt. Beschriftete Scherben, die sich auf Agamemnon beziehen, haben zur Identifizierung dieses kleinen Heiligtums als Schrein des Lokalhelden und Protagonisten des homerischen Epos geführt. Inwieweit die Krickelei auf dem Vasenrand, die im Mykene-Museum ausgestellt ist (Abb. 5 unten) tatsächlich einen historischen Agamemnon-Kontext verbürgt, mag aber dahingestellt bleiben.

Michael Siebert, Juli 2019

 

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