Grundlegende Theben-Links

Was vom historischen Theben noch übrig ist, erforscht ein Rundgang durch die griechische Stadt Thiva,  die heute die Vergangenheit fast vollständig überbaut: Rundgang durch Thiva – auf den Spuren des „siebentorigen Theben“ (PDF-Datei mit 6 MB). Die Anhangkarte zu diesem Rundgang wird in einer separaten Datei bereitgestellt: Karte zum Rundgang (PDF-Datei). Zu dieser Karte gehört noch eine Erläuterungsdatei Informationen zur Karte (PDF-Datei).

Diese Texte und Karten wurden im Juni 2019 überarbeitet und aktualisiert

Theben – wo liegt das eigentlich?

Die meisten denken spontan an Ägypten. Da fällt dieser Städtename auf Studienreisen tief im Süden des Landes. Gesehen hat man bei solcher Gelegenheit dort in Oberägypten die gewaltigen Tempelanlagen von Luxor und Karnak am Ostufer des Nils, man kam an den Memnonkolossen in der weiten Ebene vorbei (Abb. 1) und hat in den westlichen Randbergen des Niltals das Tal der Könige mit seinen Pharaonengräbern besucht. Vielleicht stand auch noch einer der Totentempel am Übergang der Ebene in das Randgebirge auf dem Programm, etwa  Medinet Habu, der Totentempel von Ramses III, an dessen riesigen Wänden Hieroglyphen und Reliefs von den Seevölkerschlachten der späten Bronzezeit berichten (vgl. Die Seevölkerreliefs von Medinet Habu auf homersheimat.de). Doch eine Vorstellung von einer Stadt „Theben“ ist dabei wohl kaum entstanden, ihre Konturen bleiben diffus.

In jenen fernen Zeiten, von denen noch immer die eindrucksvollen Bauwerke zeugen, hieß die bebaute Gegend auch keinesfalls Theben. Dieser Name hat keinerlei Wurzeln in altägyptischer Sprache (Kirk, Ilias-Kommentar Bd. 3 zu IX.381 ff). Er kam erst in der ptolemäischen Ära auf, die von Ptolemaios I (ungefähr 367 bis 283 v.u.Z.) begründet worden war. Der hatte zwar eine prachtvolle Renaissance des Pharaonentums in Szene gesetzt, entstammte aber keiner ägyptischen  Dynastie. Er war ein Grieche. Ptolemaios begleitete als einer der Generäle von Alexander dem Großen dessen Feldzüge von Beginn an. Nach Alexanders frühem Tod im Jahre 323 v.u.Z. und den nachfolgenden „Diadochenkämpfen“  fiel Ptolemäus aus Alexanders Weltreich das Land am Nil zu.

Wenn Ptolemaios der Gegend um Luxor und Karnak den Namen Theben gegeben hat, so war das eine Erinnerung an den Anfang seiner Karriere sowie an Griechenland. Denn Alexanders Feldzug aus Makedonien heraus hatte seinen ersten militärischen Höhepunkt in der Zerstörung eines Thebens, das bis dahin die Hegemonie über weite Teile des antiken Griechenlands gehabt hatte. Dies Theben lag in Böotien, einer Landschaft zwischen dem Golf von Korinth und der Meerenge vor Euböa, nördlich von Athen.

Kartenskizze des östlichen Mittelmeerraums mit Theben in Böotien und Theben in Ägypten

Abb. 2: Kartenskizze des östlichen Mittelmeerraums mit Theben in Oberägypten und Theben in Böotien, letzteres in unmittelbarer Nachbarschaft zu Orchomenos, dem Herrschersitz der Minyer in mykenischer Zeit.

 

Dieses böotische Theben war eine uralte Stadt, die schon in der Späten Bronzezeit (= ‚Mykenische‘ Ära) eine bedeutende, wenn nicht sogar die bestimmende Rolle gespielt hatte. In seinem Hafen vor Aulis soll sich die griechische Flotte gegen Troia versammelt haben, Theben stellte in dieser Flotte das größte Kontingent. Homer nannte es das „Siebentorige Theben“ und hob es damit vom großen Gegner Troia ab, in dessen Burg nur zwei Tore führten. Homer ist aber auch der Inspirator für Ptolemaios, wo dieser seine oberägyptische Stadt „Theben“ nannte. Denn bereits Homer hatte von einem „Hunderttorigen Theben“ erzählt, das in Ägypten zu suchen sei. Daran hatte sich Ptolemaios wohl erinnert, als er die von Alexander zerstörte großartige Stadt noch großartiger in Ägypten wieder aufleben ließ.

Hier entwickelt die Geschichte eine abgründige Irritation: Wie konnte Homer von einem ägyptischen Theben berichten, das erst sehr viel später von einem mazedonischen General so benannt worden war? Aufklärung bringt der Kontext, in dem Homer vom Hunderttorigen (ägyptischen) Theben spricht:

Achilleus, der kampfstärkste aller griechischen Krieger vor Troia, hat sich aus den Schlachten grollend zurückgezogen, weil ihm der mykenische Anführer Agamemnon seine geliebte Beutesklavin Briseis weggenommen hatte. Der Kampf läuft immer schlechter für die Griechen, die nun Achilleus bestürmen, doch wieder mitzumachen. Odysseus versucht Achilleus im Namen von Agamemnon mit wertvollen Gütern zu locken. Doch Achilleus bleibt hart und lässt Agamemnon ausrichten (Ilias IX.378):

Seine Geschenke sind mir verhaßt...  Wollte er mir auch zehn- und zwanzigmal soviel geben, als was jetzt er besitzt, und käme auch weiteres dazu noch – nicht, was Orchómenos einbringt, nicht das ägyptische Theben, wo in den Häusern das meiste lagert an kostbaren Gütern. Hundert Tore besitzt die Stadt, und zweihundert Männer können durch jedes Tor mit Rossen und Wagen hinausziehen. Gäb er auch so viel mir, als Körner im Sand und im Staub sind, würde auch so mir nicht den Mut Agamemnon bereden, bis er nicht gänzlich abgebüßt die kränkende Schmähung.

Homer dichtet eine Kaskade sich ins Unermessliche steigernder Übertreibungen, will sagen: kein Reichtum dieser Welt könne Achilleus umstimmen, solange die Schmach der weggenommenen Sklavin nicht gesühnt ist.

Dabei blitzen historische Erinnerungen auf, die so gar nicht zu der Einheit passen, als die Homer das riesige vereinigte Heer der Griechen ansonsten inszeniert. Denn real – zumindest nach dem Klang der Quellen in der griechischen Mythologie – waren die Stadtkönigtümer Griechenlands in unzähligen Kriegen zerstritten und verfeindet.

Verräterisch ist zunächst die Formulierung „was Orchomenos einbringt“. Sie offenbart die Perspektive des Eroberers, der eine feindliche Stadt plündert (wie es Achilleus unzählige Male getan hat  – vgl. dazu, wie auch zum Folgenden, meinen Essay „Seevölkerodyssee“ auf homersheimat.de). In den Hintergrund tritt, dass Orchomenos an der griechischen Streitmacht mit einem Kontingent beteiligt war (Kontingent der Minyer mit 30 Schiffen in Homers Schiffskatalog, Ilias II.511 ff). Sein ‚mykenisches‘ Königtum lag wenig nordwestlich vom böotischen Theben, mit dem es immer wieder Kriege ausfocht. Wenn nun Achilleus die Beute eines geplünderten Orchomenos anführt, wäre als nächstes die Beute des benachbarten und kaum wohlhabenderen böotischen Theben keine Steigerung mehr. Also erfindet er statt jenem Siebentorigen böotischen Theben ein Hunderttoriges in Ägypten.

Ägypten bot sich nach damaligen Perspektiven in der Tat für eine rhetorische Steigerung an. Sein Reichtum bestimmt das Bild, das Homer von diesem Land in seiner Odyssee zeichnet (III.301, IV 229). Homers Epen geben zudem zahlreiche Hinweise, dass seefahrende Völker aus Griechenland immer wieder in Ägypten einfielen, mordeten, plünderten und dabei sicher auch vom Reichtum in Oberägypten hörten. Doch bis dort sind diese Griechen in ihrer Rolle als Seevölker nie gelangt. Davon zeugen v.a. die Hieroglyphen- und Bildreliefs an den Wänden von Medinet Habu, nach denen die Pharaonen die Seevölkereinfälle immer wieder erfolgreich spätestens im Nildelta zurückgeschlagen haben. Achilleus Flotte als eines dieser Seevölker hat also das ägyptische Theben und seinen sagenhaften Reichtum nie zu sehen bekommen und damit auch nie gesehen, ob überhaupt und wenn ja wie viele Tore diese Siedlung gehabt haben könnte. Archäologisch ist kein einziges Tor nachgewiesen.

Homer greift auf den überlieferten Fundus von Seevölkergeschichten zurück und erdichtet ein ägyptisches Hunderttoriges Theben als Steigerung des böotischen Siebentorigen. Darin dürfte der Name des ägyptischen ‚Theben‘ seine früheste Quelle haben. Umso mehr ist es angesagt, sich mit dem ‚originalen‘ Theben zu befassen.

 

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