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Die nachstehend erörterten Schrott'schen Lokalisierungen haben wir auf unserer Reise 2015 überprüft. Die Resultate finden sich unter Suche in Kilikien.

 

Projekt Gewässerexkursion 2

Die warmen und kalten Quellen der Ilias

Im 22. Gesang erwähnt Homer eine dampfend warme und eine kalte Quelle, an denen der troianische Anführer Hektor, verfolgt vom rachedürstenden Achilleus vorbeikommen, ehe Hektor gestellt und im Zweikampf umgebracht wird. Das Geschehen beginnt mit der Verfolgung von Hektor durch Achilleus (XXII.143 ff):

Also flog er begierig heran, und es flüchtete Hektor
Unter der Mauer der Troer und regte die hurtigen Kniee.
Und an der windbewegten Feige vorbei und der Warte
Jagten sie immer seitab von der Mauer dahin auf dem Fahrweg,
Und sie erreichten die beiden schön hin fließenden Brunnen,
Wo die Quellen entspringen des wirbelreichen Skamandros.

Diese Szenerie ist realgeografisch besehen absurd: die um die 300 Kilometer entfernten Quellen des Skamandros, der als „Strom“ die Ebene von Troia durchquert, sind nicht in der kleinteiligen Landschaft unter der troianischen Burg, gleich hinter dem Feigenbaum an der Mauer entlang über den Fahrweg erreichbar. Auch die Nähe der ergänzend erwähnten Waschbecken der troianischen Frauen, die beim Waschen von den heißen und kalten Wassern profitieren können, verweist darauf, dass es hier nicht um die wirklichen Quellen des Skamandros-Stroms gehen kann, sondern um eine Kombination von Elementen im Nahbereich, die es so nicht gab und nicht gibt (XXII.149 ff):

Eine nämlich entfließt mit lauwarmem Wasser, und ringsum
Dampft aus ihr es auf wie Rauch aus loderndem Feuer.
Aber die andere fließt im Sommer so kalt wie der Hagel
Oder wie kühler Schnee oder Eis, gefroren aus Wasser.

Dort bei ihnen sind auch die breiten Becken zum Waschen
Nahe, die schönen, steinernen, wo ihre schimmernden Kleider
Pflegten zu waschen die Frauen der Troer und lieblichen Töchter
Früher im Frieden, bevor die Söhne Achaias gekommen.

Dort lief vorne der Flüchtende, hinter ihm der Verfolger –
Vorne ein Tüchtiger floh, den ein weitaus Beßrer verfolgte -,
Sehr geschwind, denn nicht um Opfertier oder Rindshaut
Ging es, wie man sie für den Wettlauf aussetzt der Männer,
Sondern sie liefen ums Leben des Pferdebändigers Hektor.
So wie siegpreisbringende Pferde die Wende der Laufbahn
Sehr geschwinde umfahren; da ist ein bedeutender Kampfpreis
Ausgesetzt, Frau oder Dreifuß, zu Ehren eines Verstorbnen:
So umkreisten die beiden dreimal des Priamos Feste

Um das von Korfmann sondierte Troia – mitsamt Unterstadt – nur einmal zu umrunden, wäre bereits eine Strecke von rund 4 km zu laufen (abgemessen in nachfolgender Abb. 1):

Stadtgebiet des bronzezeitlichen Troia

Abb. 1: Das – vor allem durch magnetometrische Oberflächenerkundung – sondierte Stadtgebiet des bronzezeitlichen Troias mit der Burg an der nördlichen Höhenzugnase (nach Korfmann 2006, Innenumschlag vorne)

 

Die inzwischen von den Archäologen entdeckte Quellhöhle (nur ein Auslauf mit einer Wassertemperatur) lag innerhalb des mit Mauer und Graben umgebenen Stadtbereichs (siehe Eintrag in Abb. 10). Unabhängig von den in der Ilias angesprochenen, aber weit entfernten und nicht auf kalt + heiß erkannten Skamanderquellen sind auch andere Quellen im Nahbereich außerhalb des Stadtareals nicht bekannt. Und auf diesen Nahbereich hatte sich der Todeswettlauf jedenfalls beschränkt, da Achill immer darauf achtete, dass sich der zur Mauer drängende Hektor nicht in eins der Tore Troias bzw. in den Schutz der troianischen Bogenschützen retten konnte.

Um Raoul Schrotts Homer-Anschauungsburg Karatepe-Aslantaş zu umrunden, dürfte kaum weniger Strecke, aber noch mehr Steigung zu bewältigen sein. Das kann man heute aber leider nicht mehr nachvollziehen, weil die Bergnase von Karatepe-Aslantaş fast vollständig von einem jener modernen türkischen Stauseen umgeben ist (Geoposition von Karatepe-Aslantaş).

Ob die beiden feindlichen, bewaffneten und gerüsteten Krieger um die 12 Kilometer in hügeligem Gelände rannten, ehe es zum Kampf kam, mag also ebenfalls als Darstellung einer Realität bezweifelt werden.

Eine Interpretation dieser Szene sollte wohl eher dort ansetzen, wo sie offensichtlich eine Reihe krasser Gegensätze dichterisch im gewollten Kontrast entwirft:

Auf der einen Seite die idyllischen Bilder von Feigenbaum und Fahrweg, von „schön hin fließenden Brunnen“ und Frauen, die ihre „schimmernden Kleider“ in „schönen steinernen Becken“ waschen. Dem gegenüber die grausige Ansicht des Krieges: ein gehetzter Hektor und ein Achilleus, der jegliche Menschlichkeit verloren hat (wie dann später die unendlich lang gezogene Misshandlung von Hektors Leiche noch unterstreichen wird). Weiter: der unmäßig lange und anstrengende Wettlauf um die Stadt Troia, friedlichen sportlichen Wettkämpfen gegenübergestellt, bei denen es um „Frau oder Dreifuß“ geht. Und schließlich der Gegensatz der Elemente Eis und Feuer in Gestalt zweier Bäche – der eine Bach dampfend „wie Rauch aus loderndem Feuer“ und der andere Bach „so kalt wie Hagel, kühler Schnee oder Eis“.

Das ist großartige Dichtung! Eigentlich sollte auch der Dichter Raoul Schrott darauf anspringen. Raoul Schrott erwägt aber nur kurz, ob Homer mit solcher Gegensätzlichkeit auf die Ambivalenz des Skamandros/Xanthos abheben wollte, der „einmal reißend aus dem Gebirge kommt, dann wieder breit durchs Tiefland fließt“ (Homers Heimat 2008, S. 188). Doch sogleich geht dieser Gedankenansatz in der Suche nach realen warmen und kalten Quellen im Umfeld der kilikischen Ströme, der Schlachtfeldlokalitäten und der Verortungen von Homers Troia-Anschauungen im Umfeld von Tarsus unter.

Dem könnte man vor Ort durchaus folgen – entweder um Schrotts Scharlatanerien aufzudecken oder selbst etwas in den Flusslandschaften zu entdecken.

Schrott hat das Kunststück fertiggebracht, ohne jeden Skrupel und ohne jeden Querverweis zwischen den Varianten zwei völlig unterschiedlich lokalisierte heiße und kalte Quellkombinationen aufzutischen. Eher wir zur ggf. im Gelände nachvollziehbaren Buchvariante kommen, hier die in der ZDF-Reihe „Terra X“ präsentierte Variante. Bei diesem Terra X-Beitrag handelt es sich zweifellos um einen der unseriösesten in einer qualitativ recht gemischt angelegten Serie. Das zeigt schon die Darstellung der Festung Karatepe mit dem hier ergänzten Troia-Eintrag, dessen rote Mauern keinerlei Bezug zu Realität und Geschichte haben (Abb. 2)

Die im Fernsehfilm gezeigte Lokalisierung von „kaltem Pyramos“ und „warmen Quellen“ ist so freischöpferisch erfunden, dass sie nicht mehr mit realen Orten in Verbindung gebracht werden kann. Abb. 3 zeigt einen Versuch, die Fernsehkartografie dennoch mit den vermutlich gemeinten Realitäten in Beziehung zu setzen.

Natürlich kommt auch der Pyramos an dieser Stelle nicht von rechts „kalt“ ins Bild, denn er hat bereits gut 200 km zurückgelegt, er kommt eigentlich auch gar nicht von rechts, sondern von oben, usw. usf.. Soviel zur Qualität der Umsetzung unserer Gebühren in öffentlich-rechtliches Fernsehen.

Es bleibt das Geheimnis von Schrott und den ZDF-Fern­seh­schaffenden, warum sie im Film nicht den Hinweisen im Buch auf eine Lokalität heißer und kalter Quellen nachgegangen sind (was immer noch machbar sein sollte). Zwar findet sich diese Lokalität nicht im fußläufig erreichbaren Umfeld von denkbaren Schiffslagern, Schlachtfelder und einem Troia-Vorbild „Tarsus“, doch immerhin wenig nördlich davon, wo auch ein kilikischer Homer seine Anregungen gewonnen haben könnte.

Mit den Abbildungen 14 bis 17 (Homers Heimat 2008 S. 352 f, nachstehend in Abb. 4 zusammengefasst) zeigt Schrott sehr konkret, wo er heiße und kalte Gewässer nebst Waschbecken gefunden zu haben meint. Eigentlich sollte sich das vor Ort klären lassen. Allerdings sind die Angaben ungenau, so dass nur mit einiger Mühe ein möglicher Standort ausfindig gemacht werden kann.

Abb. 4: Die Abbildungen zum Ort von warmen und kalten Gewässern in Homers Heimat 2008 S. 352 f (Abb. 14 bis 17), hier kompakt montiert. Die Vermerke „bei Ulas“ führen allerdings in die Irre.

 

Schrott bringt seinen Fund einer warm+kalt-Quellsituation im Umfeld der Abbildungen 14 bis 17 mit dem Kydnos in Verbindung, den er – neben dem Pyramos – ebenfalls als „Skamandros“ in Erwägung zieht. Er hat sich dabei wohl von Strabo inspirieren lassen (vgl. Homers Heimat S. 188 mit FN 7), der von kaltem Wasser im Zusammenhang mit dem Kydnos (bei Strabo „Cydnus“) in XIV.5.12 schreibt:

Weil jedoch die Quelle nicht sehr entfernt ist, das Strombett aber durch eine tiefe Talschlucht geht und gleich darauf in die Stadt eintritt, so ist der Fluß kalt und reißend, und leistet deshalb den an Geschwulst und Flüssen Leidenden, sowohl Herdenvieh als Menschen, gute Dienste.

Wen man dem Fluss bis zum letzten, also dem Tarsus am nahesten gelegenen Bergdurchbruch folgen würde, hätte man jedenfalls 15 km zu bewältigen. Doch das geht heute nicht mehr, weil der gesamte Flussabschnitt bis weit in den Bergdurchbruch hinein in einem modernen Stausee versunken ist. Diese 15 km mögen für den Vielreisenden Strabo „nicht weit entfernt“ gewesen sein. Für die Einbindung dieses Durchbruchs in einen Wettlauf zwischen Hektor und Achilleus dreimal um Tarsus (hier gleich Troia) herum war das jedenfalls viel zu weit.

Schrott schaut auch gar nicht erst an dieser inzwischen unzugänglichen Stelle, zu der nur noch von Westen her Pfade den Hang bis zum See hinunterführen, nach kaltem Kydnos-Wasser und warmen Quellen. Mangels Zugänglichkeit sucht er anderenorts und beschreibt seine offenbar als austauschbar betrachtete Lokalisierung so:

Etwa 15 km nördlich von Tarsus beim Dorf Ulas – das Homer ‚Alus‘Schrotts Fußnote zu „Alus“ lautet schlicht „siehe X“, was wohl nur Kapitel X seines Buchs mit dem Titel „Thebe oder die Geschichte in der Geschichte“ meinen kann (S. 305-330). Dort verliert sich dann aber diese Spur. nennt – trifft der kalt aus einer Schlucht tretende Kydnos auf einen Granitrücken, an dem auch heute noch, wenige Meter voneinander entfernt, Schwefelquellen zutage treten; noch im 19. Jahrhundert gab es da für Kurbäder benützte artesische Quellen samt einem in die Felsen gehauenen Wasserbecken [Fußnote:] Ein Bauer zeigte mir ein Quelloch [< original Schrott] unweit der alten mit Stein ausgelegten Straße kurz vor der Brücke bei Kesbükü und meinte, das Wasser wäre gut gegen Würmer, nur heiß ist es heute nicht mehr (zu Homers Zeit ist auch nur von ‚warm‘ die Rede)...

Das von Schrott als örtliche Referenz genannte Dorf „Ulas“ ist von Tarsus (Zentrum) real gut 17 km entfernt ... und dann ist man noch lange nicht am Kydnos angekommen. Folgt man der Straße noch gut 5 km weiter, so kommt man zu einem Fluss hinab – das aber ist nicht der historische Kydnos sondern sein Zufluss, der bei OSM „Pamukluk Çayı“ genannt wird. Hier finden sich gleich zwei Brücken – eine alte schmale und eine neue im Zuge des Straßenneubaus. Die kann Schrott schlecht meinen, denn diese Brücken liegen bereits hinter dem zweiten Bergdurchbruch, wo doch Strabo auf die Situation vor dem ersten abhob.

Der von weiter nördlich kommende andere und Hauptarm des historischen Kydnos wird bei OSM – ebenso wie der gesamte weitere Verlauf durch den modernen Stausee und Tarsus hindurch bis zur Küste – Berdan Çayı genannt (in textlichen Quellen ist meist von „Tarsus Çayı“ die Rede).

Hierhin gelangt man nicht über Ulas, sondern alternativ auf zwei Straßen, die in Abb. 5 rot markiert sind. Nur die Straße über Büyükkösebalcı ist in der OSM-Karte erfasst, die andere über die Dörfer Ibrişim und Karadirlik hingegen nicht.

von Tarsos am Kydnos entlang ins Taurus-Gebirge

Ab. 5: Von Tarsus-Zentrum (rechts unten) über den modernen Stausee, durch den letzten Bergdurchbruch zur Kydnos-Brücke bei Büyükkösebalci vor dem zweiten Bergdurchbruch, wo vermutlich Schrotts Bilder (Abb. 13) entstanden sind. Die OSM-Kartengrundlage erfasst nur die Topografie („Radfahrer“-Layer), nicht aber die Dörfer und nur sehr ausgewählte Straßen. Die rote Straßen über Ibrişim ist nach Google Earth-Informationen nachgetragen.

 

Das von Schrott erwähnte „Kebükü“, wo die Geschichte mit dem Bauer und dem Quellloch gespielt haben soll, ist auf keiner Karte zu finden. Vielleicht ist ja Büyükkösebalcı gemeint. Denn an der dortigen Brücke über den Kydnos kurz nach Verbindung seiner beiden Zuläufe aus zwei tief eingeschnittenen Schluchten dürften Schrotts Abbildungen entstanden sein. Hier die Geoposition der Kydnos-Brücke.

An dieser Stelle sollte also den Schrott’schen Behauptungen zu „Granitrücken“, Schwefelquellen, Waschbecken unter der Brücke, Antike Straße usw. nachgegangen werden.

Für die Existenz eines „Granitrückens“ findet sich in der (allerdings recht groben) geologischen Karte kein Hinweis (IGM1500 F6 in Abb. 6). Rundum stehen Sedimente an, wobei der Höhenrücken, durch den der Kydnos als letztes vor Tarsus durchgebrochen ist, die ältesten Sedimente aus dem Perm repräsentiert. Weit und breit ist hingegen kein Anzeichen für Magmatismus zu erkennen. Die dunkelgrünen Schollen weiter westlich haben zwar eine magmatische Ursache, sind aber überschobene Bruchstücke ozeanischer Kruste, die nicht hier entstanden ist:

Geologie am Kydnos und um Tarsus

Abb. 6: Der Durchbruch durch eine Restscholle permischer Sedimente oberhalb von Tarsus (hellbraun, die weitere Scholle links davon mit „p“ markiert) bildet die letzte Schlucht, über deren Kaltwasseraustritt Strabo schrieb. Westlich davon ist die Brücke über den Kydnos zu suchen, an der Raoul Schrott fotografiert haben dürfte.

 

Die vorstehend erörterten Schrott'schen Lokalisierungen haben wir auf unserer Reise 2015 überprüft. Die Resultate finden sich unter Suche in Kilikien.

Voriges Exkursionsprojekt 1: Mallos und die Pyramos-Mündungsläufe.
Nächstes Exkursionsprojekt 3: Botanik am Strom.