Exkursionsberichte aus Griechenland 2019
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Die im Bericht angesprochenen Literaturnachweise sind einer PDF-Datei angehängt, in der alle Berichte zur Exkursion 2019 in einer druckfähigen Version zusammengestellt werden: Exkursionsberichte Griechenland 2019-I (16 MB).
Der geologisch-metallurgische Hintergrund des Laurion-Bergbaus und die Kulturgeschichte von Thorikos sowie dessen bauliche Struktur sind im Text „Erzlagerstätten“, Kapitel 5-7 geschildert – PDF-Datei auf homersheimat.de /Exkursionsführer ab S. 86)
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Thorikos – Nekropole, Bergbau und Fürstensitz
Übersicht:
- 1. Die Landschaft und ihre archäologischen Schätze
- 2. Der Velatouri als Jahrtausend-Nekropole
- 3. Die Minenarbeitersiedlung von Thorikos
1. Die Landschaft und ihre archäologischen Schätze
Zwei wohlgeformte Bergkegel ziehen vom Ägäisstrand empor, verschränken sich miteinander und bilden einen weichen Sattel zwischen dem Doppelgipfel, dessen höheren, meereszugewandten Part eine Felsenburg krönt. Am Fuß dieses Velatouri greift eine felsige Landzunge ins Meer und teilt dessen Küste in zwei tiefe Buchten, die seit frühester Seefahrt bis in heutige industrielle Nutzung Schiffen einen sicheren Naturhafen boten, zusätzlich geschützt durch die vorgelagerte lange schmale Insel Makronisos (Abb. 1). Neben den Velatouri-Spitzen erstreckt sich auf der ansonsten meist felsig bergigen unwirtlichen Attikahalbinsel eine kleine fruchtbare Ebene, angeschwemmt vom Potami-Flüsschen, das Bewohnern der Landschaft hinreichend Wasser bot.
Neben solch landschaftlichen Vorzügen hatte dies Thorikos, wie die hiesige, längst verschwundene Siedlung seit dem Altertum hieß, auch Anteil an dem auf der Attika-Halbinsel dominanten Bergbau. Die besondere Geologie wechselnd geschichteter Lagen von Marmor und Schiefer hatte aufsteigende heiße Wasser an den Sperrschichten der Schiefer nach Durchqueren der Marmorklüfte gestoppt. Die Wasser kühlten ab und schieden die aus magmatischer Tiefe herangeführten gelösten Mineralien aus. Über lange Zeiträume hinweg entstanden so reichhaltige Erzlagerstätten, vornehmlich mit Blei- und Silbererzen. Eine solche geologische Grenzschicht umringt auch den Fuß des Velatouri, dessen Gipfelaufbau aus Schiefern besteht, die auf einem Marmorsockel auflagern. Am oberflächigen „Ausbiss“ der Erzlagerstätten in dieser Kontaktzone konnten die ersten Mineure der Bronzezeit den Erzadern in den Berg folgen und so auch an dieser Stelle am Aufbau einer frühgeschichtlichen Montanindustrie mitwirken.
Rund um diese Minenaktivität entstand in der klassischen Antike eine ausgedehnte Siedlung, die in engster Nutzungsmischung Wohn- und Arbeitskomplexe der Mineure und Metallurgen organisierte. Sie umfasste Wohnungen der Sklaven und Freien, Minenstollen, Erzwäschen und die dafür nötigen Zisternen. Auch ein frühes Theater, halboval und noch nicht in der halbrunden vollendeten Form der klassischen Antike, unmittelbar aus den wilden Kulten des Dionysos hervorgegangen und deshalb auch durch einen kleinen Dionysos-Tempel ergänzt, war Teil dieser Siedlung. Während der erste Erzabbau den Adern über Stollen folgte, wurden später weiter oberhalb Schächte in den Fels getrieben, bis sie auf die Lagerstätten an der Schiefersperrschicht tiefer im Berg trafen. Verteilte Türme be- und überwachten das Gelände.
Oberhalb all dieser Aktivitäten, auf dem Sattel des Velatouri und um seinen prominenten, felsenburggekrönten Südgipfel herum entstanden weit über tausend Jahre hinweg ausgedehnte Nekropolen mit Gräbern unterschiedlichsten Typs. In der Ebene hingegen, wo die Bewohner von Thorikos ihren Ackerbau betrieben, bauten Sie der Göttin Demeter einen Tempel.
Diese wohlgeordnete, sorgfältig an Topografie, Geologie und Bodenbeschaffenheit orientierte Zonierung der Landschaft von Thorikos zum Nutzen der hier lebenden Menschen und zur Achtung ihrer Verstorbenen sowie der über alles wachenden Götter ist uns durch eine lange Geschichte archäologischer Grabungen aufgeschlossen. Die Thorikos-Forschung wurde von einem Verbund mehrere belgischer Universitäten (Liège, Bruxelles, Leuven und Gent) getragen. Auf an die 5 % der Gesamtfläche rund um den Velatouri wurden die relevanten Teile dieser Besiedlung freigelegt und die Nutzungsstrukturen geklärt. Die Archäologen waren somit nicht nur an den üblichen Highlights der Tempel und Gräber interessiert, sondern vor allem auch an der Produktions- und Lebenswirklichkeit der frühgeschichtlichen Bewohner (Kartierung in Abb. 2).
Abb. 2: Kartierung von Gräbern, Nekropolen, Minenschächten (mine-shaft) und -stollen (mine), Türmen, Zisternen, Erzwäschen und anderen Objekten auf und um den Velatouri-Hügel auf einem Höhenplan. Archäologische Grabungsflächen sind mit kleinteiligen Rastern markiert. Das großformatige und nummerierte Raster entspricht einer 50 x 50 m-Aufteilung, die im Gelände teilweise markiert wurde (Aufarbeitung nach Mussche 1978, Tafel 1 und Mussche 1998, Fig. 19).
Die griechische Kulturverwaltung hatte vor (unbekannter) längerer Zeit geplant, dies weitläufige historisch hochinteressante Gelände für interessierte Besucher zu erschließen. Sie begrenzte ihre vorbereitenden Aktivität auf das Areal um das frühe halbovale Theater mit Dionysos-Tempel, Altar und großer Halle. Zusammen mit einer in die mittlere Bronzezeit zurückreichenden Mine, einer rekonstruierten Erzwäsche, einer kleinen Nekropole, einem Steinbruch im Marmorhorizont unterhalb des Theaters sowie weiteren Nutzbauten sah sie wohl auch die anderen Komponenten der historischen Velatouri-Besiedlung in dieser Kernzone hinreichend repräsentiert. Ein Kassenhäuschen nebst Wärterwohnung wurde gebaut, Besucherwege plattiert und ein Zaun herumgezogen. Sogar eine Infotafel steht schon am Eingang.
Leider wurde der ‚Archäologische Park Thorikos‘ nie in Betrieb genommen, obwohl dies der nahen, vom Niedergang neuzeitlichen Bergbaus gebeutelten Provinzstadt Lavrio gut getan hätte. Das Theater-Gelände ist allerdings zugänglich und kann auf den plattierten Wegen bequem besichtigt werden. Eine umfassende Besichtigung sollte aber zumindest drei weitere Bereiche erfassen:
- Aufstieg zum Velatouri-Sattel mit Besichtigung der dortigen mittelhelladischen und mykenischen Gräber (Zugang auf einem Feldweg, der gegenüber dem Besucherparkplatz des Dow Chemical-Werkes von der Industriestraße abzweigt).
- Besichtigung eines kleinen neuzeitlichen Steinbruchs östlich vom Theaterareal, in dessen Rückwand sehr schön mehrere antike Stollen aufgeschlossen sind („mine 4“ in Abb. 2).
- Gang entlang der Ebene unterhalb des Theaterareals, vorbei am recht gut erhaltenen quadratischen Turm aus dem 4. Jh. vC („tower 3“ in Abb. 2) zum „Industriequartier“ von Thorikos („industrial quarter“ in Abb. 2) mit dessen Besichtigung.
Ein Durchstreifen der Velatouri-Hänge ist wenig sinnvoll, weil das Gelände – und damit auch die dort vor längerer Zeit freigelegten antiken Nekropolen und mittelhelladischen Bauten – inzwischen stark mit Buschwerk überwachsen ist und so immer unzugänglicher wird. Zum anderen stellen allerlei ungesicherte (und durch die Überwucherung inzwischen verdeckte) Bergwerksschächte eine Gefahr dar.
Auch einem Gang zu den Fundamentresten des Demeter-Tempels südlich vom trocken gefallenen, aber noch mit Bäumen und Schilf bestandenen Potami-Bachbett, gegenüber von „Turm 3“, sind im Gelände keine direkten Wege bereitet.
Ein Zugang zur Halbinsel St. Nikolas entlang der Küste vorbei an den Industrieanlagen von Dow Chemicals ist möglich. Die dortige Befestigungsanlage mit Haupttor auf dem vorderen 18 m-Hügel und Hochpunkt auf dem 30 m-Hügel der heutigen Kapelle Agios Nikolaos wurde zwar ausgegraben, dann aber weitgehend durch den Bau der Fabrik, durch Buschbrände und Überbauung zerstört. Die ungefähr quadratische Ummauerung (Kartierung in Mussche 1998, Fig. 24) reichte auf beiden Seiten der Halbinsel bis in heute vom Meer überspülte Küstenbereiche und stammt aus dem späten 5. Jh. vC, d.h. aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges.
2. Der Velatouri als Jahrtausend-Nekropole
Für die meisten Objekte verraten nur noch die archäologischen Berichte, was die Vegetation inzwischen nahezu vollständig überdeckt: Der markante Velatouri-Kegel an der Küste war über mehr als tausend Jahre ein beispielloser Ort, an dem die Toten begraben und verehrt wurden. Die frühgeschichtliche Sepulkralkultur setzte bereits in vormykenischer Zeit ein (mittlere Bronzezeit / Mittelhelladikum), fand in mykenischen Tholosgräbern einen ersten Höhepunkt, begann erneut in Geometrischer Zeit und ließ Nekropolen mit hunderten von Gräbern in Archaischer und Klassischer Zeit entstehen. Erst Ende des 4. Jahrhunderts, als Athen seinen Krieg gegen Sparta verloren hatte und die Herrschaft der Mazedonier heraufzog (Hellenismus) endete diese Ära, die immer eng mit dem Erzabbau im Lavriotike verbunden war.
Die späteren Nekropolen auf halber Höhe umfassten vor allem Einzelgräber. Ihre Erforschung erstreckte sich über die 1960-er bis 80-er Jahre, so dass heute davon so gut wie nichts mehr im Gelände zu erkennen ist. In der „Nekropole D1“ (östlich vom ‚industrial quarter‘ bei 55 Höhenmetern) wurden 11 Gräber aus geometrischer und archaischer Zeit dokumentiert, in der Nekropole Süd (südlich vom Velatouri-Gipfel bei 85 bis 90 Höhenmetern) 20 Gräber vornehmlich aus archaischer Zeit. Die reichhaltigsten Funde mit insgesamt 153 untersuchten Gräbern aus dem gesamten nachmykenischen Zeitraum zwischen Geometrischer und Klassischer Periode bot die Nekropole West (südwestlich vom Velatouri-Gipfel bei 60 bis 70 Höhenmetern).
Relativ gut lassen sich die Reste der ältesten vormykenischen und mykenischen Grabmonumente bei einem Gang hinauf zum Velatouri-Sattel besichtigen. Hier die Gräber in ihrer chronologischen Reihung:
- Das älteste Grab V war genau in der Mitte des Velatouri-Sattels in den Schiefer gemeißelt und von einer Ummauerung (Peribolos) mit einem Durchmesser von gut 17 m (55 m Umfang) umgeben worden (Abb. 3). Die Archäologen haben es eher zufällig unter Bergen von Schutt gefunden und auf MH bis LH I, also um oder vor 1600 vC datiert. Seine Nutzung endete jedenfalls vor mykenischer Zeit. Heute lugt nur noch eine unregelmäßige, tief in den Schiefer geschlagene Wand zwischen der starken Verbuschung unterhalb eines rezenten Mäuerchens hervor, umgeben von Resten des Peribolos.
- Das zweitälteste Grab IV hatte sein erster Erforscher V. Staïs 1888 „oblong tholos“, d.h. rechteckiger Tholos genannt. Das hebt auf die Bauform eines rechteckigen Grabraums mit Kraggewölbe und apsidenartigen Rundungen an den Schmalseiten ab, in den ein 7 m langer, in den Schiefer gemeißelter Dromos durch ein Tor hineinführt. Wir sehen also eine Vorform des erst später in die kreisrunde Form überführten Tholos-Kuppelgrabes, was mit der archäologischen Datierung auf Ende LH I, also früher als 1500 vC harmoniert. Der aus Bruchsteinen des anstehenden Schiefers konstruierte Kuppelbau ist hochgradig einsturzgefährdet und wird nur noch durch eine Stützkonstruktion gehalten.
- Grab III markiert nach dem Tholos-Vorläufer Grab IV die nun vollendete runde Bauform (Abb. 4). Seine Ausführung mit Bruchsteinen des anstehenden Schiefers wie unterliegenden Marmors verweist allerdings auf eine frühe Entstehung. Es findet sich auf 80 m Höhe am Osthang des Velatouri-Hauptgipfels und wurde auf die erste Hälfe des 15. Jh. datiert. Der Lagewechsel dürfte sich daraus ergeben haben, dass die Flächen auf dem Velatouri-Sattel durch die Gräber IV und V ausgeschöpft waren, wozu auch die Peribolus-Ummauerungen der heiligen und über lange Jahrhunderte verehrten Anlagen beitrug. Im Tholos III am Hang wurde die Bestattungstradition dann über gut ein Jahrhundert bis ins 13. Jh. fortgesetzt. Näher am Marmor, der den Sockel des Velatouri bis zur Kontaktzone der Erzlagerstätten bildet, konnte auch dieser als Baustoff eingesetzt werden. Der Tholos hat einen Durchmesser von 9,25 m und ist bis zu einer Höhe zwischen 4,75 und 5,75 m erhalten. Hinein führt ein 12 m langer und 3 m breiter aus dem Schiefer geschlagener Dromos. Die Anlage war von einem ovalen 100 m langen Peribolos umgeben, der die langjährige Ahnenverehrung in einer über hundert Jahre genutzten Grablege vornehmer Persönlichkeiten unterstreicht.
- Beidseits des Velatouri-Sattels, also am westlichen wie östlichen Sattelhang, fanden sich mykenische Gräber (LH IIB = 1450-1400 bzw. LH IIIB = 1300 bis 1250), die noch einmal die vormykenische Schachtform der mittleren Bronzezeit aufnahmen. Grab II am Westhang ist insofern bemerkenswert, als das 4,5 m lange, 1,75 m breite und 1,25 m tiefe Grab rundum von 8 dünnen Schieferplatten ausgekleidet und von fünf weiteren abgedeckt war. Es hatte auch einen kleinen, asymmetrisch angelegten Dromos, der in dieser Form bei den vormykenischen Schachtgräbern noch nicht gebaut worden war.
Angesichts der durchgängigen Nutzung des Velatouri für herrschaftliche Bestattungen seit Ende der mittleren Bronzezeit und während der gesamten mykenischen Zeit können wir davon ausgehen, das Thorikos ein bronzezeitlicher Fürstensitz war, der an diesem markanten Ort, lagegünstig am Meer und vor dem erzreichen Hinterland, wohl auch bestimmenden Einfluss auf der Attika-Halbinsel hatte.
Diese Hypothese erlebt ihren Wiederhall in der Mythologie. Die erzählt von einem König Kephalos, der hier in einer Zeit residiert haben muss, als das ‚minoische‘ Kreta noch seine Hegemonie über Kontinentalgriechenland ausübte (die endete um 1450 durch Eroberung Kretas durch mykenische Kriegerkontingente). Kephalos war mit der mykenischen Regionalmacht Athen verbunden, wie es sich in seiner Heirat mit Prokris ausdrückt, eine der Mondgöttin ähnliche Gestalt, die vom sagenhaften Athener König Erechtheus abstammte (vgl. zur Athener Genealogie: „Griechische Mythologie“, Abschnitt 6, PDF-Datei auf homersheimat.de). Unter minoischer Oberherrschaft und Athener Regionaldominanz hatte Kephalos wohl nicht allzu viel zu sagen. Deswegen ist er vor allem durch seine Jagdleidenschaft sowie seine Vorliebe für zahlreiche Seitensprünge bekannt geworden. Beides teilte er mit seiner Gattin Prokris, der Kephalos allerdings auch eifersüchtig nachstellte.
Als er sich bei ihr selbst kupplerisch als Liebesobjekt ins Spiel brachte, floh die entlarvte Prokris nach Kreta, wo sie sich mit dem dort noch herrschenden König Minos einließ. Den heilte die liebeskundige Prokris von einer nicht gerade liebesfördernden Krankheit: beim Versuch, sich mit einer Frau zu vereinigen, entströmten dem Leib des Minos Schlangen, Skorpione und Tausendfüßler. Nachdem Prokris den Minos von diesem Übel erlöst hatte, bedankte er sich mit den Geschenken eines unsterblichen Jagdhundes und eines unfehlbaren Speers. Damit ausgerüstet konnte sich Prokris auch wieder bei ihrem Kephalos sehen lassen, der die Jagdhilfen dann gerne selbst in Anspruch nahm (zu allem: Kerenyi 1958, S. 227 ff). Noch tausend Jahre später erzählen Vasenmalereien von diesen Legenden (Abb. 5).
3. Die Minenarbeitersiedlung von Thorikos
Abb. 6 zeigt einen Parcours, auf dem die Minenarbeitersiedlung von Thorikos besichtigt werden kann. Es gibt aber keine ausgebauten Besucherwege wie im Theaterbezirk, so dass man sich im zunehmend überwachsenden Gelände seine Pfade suchen muss.
Abb. 6: Archäologische Bestandsaufnahme bisheriger Grabungen im Industriequartier von Thorikos. Grüne Pfeile zeigen einen Begehungsvorschlag.
Wir gehen auf dem im Plan der Abb. 2 schwarz angelegten Talweg nach Westen. Nach Passage des quadratischen Turmes 3 (vermutlich 4. Jh. vC) mit noch recht gut erhaltenen Quadern des Turmsockels führt eine Fahrspur rechts den Hang hinauf, in deren Verlängerung man die Zisterne 1 erreicht (Abb. 6, dort links oben). Diese in jüngster Zeit (seit 2010) freigelegte Zisterne ist die größte im gesamten Quartier. Ihre polygonale Kontur von 9 – 4,5 – 7,5 und 5,5 m Seitenlängen ließ bei ca. 5 m Tiefe eine Wasserfüllung von gut 200 m³ zu. Im Vergleich zu den riesigen Zisternen im Soureza-Tal, die über 1000 m³ Volumen erreichten, ist aber auch das noch wenig. Die Zisterne wurde an zwei Seiten vollständig aus dem Fels gehauen und auf den anderen hochgemauert. Eine wasserdichte Felsfläche nebst Mauern östlich der Anlage diente wahrscheinlich der Niederschlagswassergewinnung und -ableitung. Eine Schutthalde im Westen entstand aus Abraum in der Zisterne, in die benachbarte historische Gebäude gestürzt waren. Zwei Zisternenauslässe, Rudimente eines Mahltisches sowie der Wäsche 13 komplettieren die hiesige Erzverarbeitungsinfrastruktur.
Ca. 70 m weiter östlich erreicht man hinter Schutthalden, unter denen Turm 5 vermutet wird, die Mine 2. Die flachen breiten Stollen zeigen sehr schön, wie sich die Mineure an der Kontaktzone zwischen liegendem Marmor und hangendem Schiefer über enge Stollen in den Berg vorgearbeitet haben (Abb. 7).
Nun kann im (noch) offenen Gelände auf einer ehemaligen Straße, die die Archäologen „Metallurgy Street“ genannt haben, Richtung Südosten das dortige Teilquartier angestrebt werden, das in der linksseitigen Insula 12 noch Reste der Wäsche 2 erkennen lässt. Am Ende der Straße steigt man zu einer gegenläufigen ‚Hauptstraße‘ ab, die an Insula 10 vorbei zur Insula 2 auf der rechten Seite führt. In deren Zentrum sind zwei kreisrund in den Fels gehauene Zisternen zu sehen, die der häuslichen Wasserbevorratung gedient haben. Für Produktionszwecke war dieser Zisternentyp viel zu klein. Aber auch die produktionsorientierten Zisternen wie Nr. 4 boten nicht wesentlich mehr Volumen, um die beiden großen Wäschen 1 (auf einer Hangnase, teilrestauriert) und 3 zu betreiben.
Auf der ‚Hauptstraße‘, die an der dichten Bebauung von Insula 3 endet, gelangt man zu Turm 1, dessen runde Struktur innerhalb der dicht gedrängten Wohngebäude allerdings kaum noch unter dem Macchia-Überwuchs auszumachen ist – zu schweigen von einer Deutung seiner Funktion.
Die Erzwäschen wurden aus einem Vorratstank heraus betrieben, aus dem Wasser durch enge Düsen auf die Waschbretter mit der zermahlenen Erz-Gesteinsmischung strömte. Ihre Verarbeitungskapazität richtete sich nach der Anzahl dieser Düsen. Die Archäologen haben anhand der Niederschlagswassereinzugsbereiche und Zisternengrößen ermittelt, dass die größte Zisterne 1 ganzjährig eine Vier-Düsen-Waschanlage bedienen konnte. Da alle anderen Zisternen sehr viel kleiner und zudem in die engen baulichen Strukturen integriert waren, so dass sie lediglich aus Dachflächenentwässerung gespeist werden konnten, kam die Forschung zum Schluss, dass im Industriequartier von Thorikos allenfalls saisonal, keineswegs ganzjährig einer Erzaufbereitung möglich gewesen ist. In den Kerngebieten Laurions war das angesichts der riesigen Zisternen anders. Doch in Thorikos dürften die Bewohner des Industriequartiers zeitweise auch dem Ackerbau in der Ebene um den Demeter-Tempel nachgegangen sein (Liefferinge 2018).
Die Ausgrabungen werden ohne Pflege alsbald von Sträuchern der Macchia überwuchert. Im Frühjahr 2019 blühten die halbkugelförmigen Büsche der in Griechenland, Kreta und der Ägäis heimischen Dornbusch-Wolfsmilch (Euphorbia acanthothamnos) besonders prächtig. Ihr Artname ergibt sich aus ακανθώδης = dornig und Θαμνος = Strauch (Abb. 8).
Die gegabelten Doldenstrahlen verholzen zu stechenden Dornen und machen die Pflanze zu einem immer dichteren Bewuchs ohne Fressfeinde. So schön, wie sich die Pflanze präsentiert ist sie doch eine große Gefahr für die archäologisch freigelegten Strukturen und müsste zu deren Erhalt regelmäßig – wie die anderen Macchia-Sträucher – entfernt werden. Sonst erleidet die historischen Baustrukturen allzuschnell ein Schicksal, das sie ohne ihre Freilegung nicht ereilt hätte.
Michael Siebert, Juli 2019
Exkursionsberichte aus Griechenland 2019
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