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Der Kampf der Götter und Naturgewalten

Suche nach einem möglicher Ort des achaiischen Schiffslagers

Der Plan zur finalen Vernichtung der achaiischen Schiffslagerbefestigung durch neun Tage lang anbrandende Fluten der vereinigten Flüsse und Ströme Kilikiens wird auf der Seite Vernichtung der Archaiischen Mauer beschrieben. Diese wie eine Naturkatastrophe daherkommende Vernichtungsaktion wird in der Ilias nur verheißen.

Reale Verwüstungen werden hingegen im Kontext der Götterschlacht als auffällig parallelisierend entworfene Handlung geschildert, die insbesondere den einundzwanzigsten Gesang füllt. Inzwischen nimmt Achilleus wieder an den Kämpfen teil, nachdem sein Intimfreund Patroklos in der Schlacht gefallen war. Sein Groll, dass er seine Kriegsbeute – namentlich die Sklavin Briseis – an Agamemnon abtreten musste, ist einer ungleich größeren Raserei gewichen, die der Tod von Patroklos in ihm ausgelöst hat. Achilleus wütet im troianischen Heer, sein Morden füllt die Wasser des am Schlachtfeld entlangfließenden Skamandros mit Blut und Leichen, bis es dem Flussgott Skamandros zu viel wird. Mit Hilfe des Simóeis produziert er eine Flut, die Achill verfolgt und vernichten soll (XXI.311 ff und 324 ff). Er spricht den Simóeis als göttlichen Bruder an:

Stehe aufs schnellste mir bei, und fülle du an deine Fluten
Mit dem Wasser der Quellen, laß schwellen alle die Bäche;
Laß erstehn eine große Woge, errege Getöse
Viel von Stämmen und Steinen, damit wir dem grimmigen Mann da
Einhalt tun, der stark ist und dünkt sich den Göttern zu gleichen.
...
Sprach's und erhob sich hochaufwallend gegen Achilleus,
Brausend mit wirbelndem Schaum und Blut und treibenden Leichen.
Und die purpurne Woge des zeusentsprossenen Stromes
Stieg empor, sich erhebend, und riß den Peliden zu Boden.

Da das Ganze im Kontext einer Götterschlacht passiert, erzeugt diese von den Flussgöttern Skamandros und Simóeis ausgelöste flutende Naturgewalt eine noch gewaltigere Reaktion, die das Feuer als Gegenelement zum Wasser zur Waffe macht (XXI.328 ff):

Hera schrie aber laut in heftiger Angst um Achilleus,
Daß ihn hinweg nicht reiße der große Strom mit den Wirbeln,
Und gleich rief sie Hephaistos zu, ihrem eigenen Sohne:
»Auf, mein Kind, du Hinkfuß, erheb dich, denn dir gegenüber
Haben den wirbelnden Xanthos wir gleich geachtet im Kampfe.
Komm jetzt eilend zu Hilfe und laß viel Feuer entflammen.
Ich aber werde gehn, um des Wests und des blendenden Südwinds
Schweren Wirbelsturm vom Meere her zu erregen,
Der die Häupter der Troer und ihre Waffen verbrenne,
Schreckliche Hitze verbreitend. Du setze am Ufer des Xanthos
Bäume in Brand, und wirf in ihn selber das Feuer; ...

Den weiteren Verlauf im Waffengang der Elemente mag man fasziniert im Original weiterverfolgen. Denn schon dieser kurze Auszug birgt erst einmal genug Material, das gewichtet sein will:

Einen ‚Kampf‘ der Elemente Feuer und Wasser gibt es in der Natur vornehmlich im Zusammenhang mit Vulkanismus, wenn glühende Lava ins Meer strömt. Raoul Schrott ist diesem Gedanken nicht nachgegangen. Dabei kommt eine solche naturwissenschaftliche Erklärung des Geschehens durchaus in Betracht, weil es in Kilikien einen zwar kaum bekannten, aber sehr relevanten Vulkanismus gegeben hat. Näheres dazu auf der Seite zu einer geologischen Exkursion in dies Gebiet: In Hephaistos‘ Werkstatt.

Hilfreich erscheint hingegen die Beachtung der von Hera entfachten Winde gegen die von Norden her flutenden Ströme des Skamandros und Simóeis, die eine „schreckliche Hitze“ verbreiten und wohl die eigentliche Ursache für die Inbrandsetzung der flussbegleitenden Vegetation darstellen dürften, die hier ‚zuständigkeitshalber‘ dem Wirken des Hephaistos zugeschrieben wird. Denn feuchtes vegetabiles Material kann in Verbindung mit äußerer Hitze zwar selten aber durchaus zur Selbstentzündung (Wikipedia-Link) führen.

Heiße Südwinde, zudem „vom Meere her“, geben in der Troas überhaupt keinen Sinn. Dort erhebt sich nach Süden hin ganz allmählich der elend lange Hang zum „Ida-Gebirge“ hinauf, von dem herunter nur kühle(re) Fallwinde zu erwarten sind. Ganz anders in Kilikien: Hier liegt die Küste im Süden, dort ist es im Sommer oft sehr heiß, wenn von Afrika heiße Winde herüberwehen. So werden die von Hera mobilisierten Winde zu einem starken Indiz gegen die Troas als Anschauungshorizont für Homer ... und für Kilikien.

Selbst die Hera’sche Kombination von West- und Südwind lässt sich deuten und führt zu einem Ort, wo sich Homer im Raum Kilikiens das griechische Schiffslager hätte vorstellen können. Zwar dürfte die absurd hohe (bzw. unbekannten anderen dichterischen Ambitionen folgende – vgl. dazu Schrotts Ausführungen zur Zahlensymbolik S. 161 ff, insbesondere S. 163) Zahl von knapp 1200 Schiffen pure Erfindung sein, so dass lediglich von einer ‚großen‘ Anzahl Schiffen ausgegangen werden sollte. Doch auch eine unbestimmte ‚große‘ Zahl von Schiffen benötigte eine weite Sandküste, an der die Schiffe an Land gezogen werden können.

Südlich von Tarsus könnte es noch zur Zeit Homers eine große Bucht gegeben haben, in der Schiffe einigermaßen geschützt an Land zu ziehen waren. Wenn vom Meer her über diese Bucht hinweg – also aus der Richtung des am Meer gelegenen achaiischen Lagers gegen die troianische Position – südwestliche Winde wehten, dann wehten sie hier auch gegen die Fließrichtung der Ströme, insbesondere gegen die des Saros. Dazu gibt es vornehmlich zwei Quellen, die aber beide nicht sonderlich ‚belastbar‘ sind und in Abb. 1 wiedergegeben werden:

historische und rezente Küstenlinien, darin der mögliche Ort des achaiischen Schiffslagers

Abb. 1: Oben: die heutige geografische Situation um Tarsus und Adana mit den drei Hauptflüssen – historisch Kydnos, Saros und Pyramos (Kartengrundlage: OSM, rezente Flussläufe hervorgehoben)
Mitte: Eine mögliche historische Küstenlinie im 10. Jh. v.u.Z. nach der Karte in Pauly 2012, S. 39 (Abb. 2 im Beitrag über Kilikische Ströme) mit Spekulation über die Lage eines achaiischen Schiffslagers nebst Befestigungsmauer (auf die der nachstehend zitierte Einfluss Strabons gesehen werden muss).
Unten: Karte nach Homers Heimat 2008, S. 428 f mit Eintrag einer streng elliptischen Rhegma-Hafenbucht südlich von Tarsus und nach Nordwesten ‚umgebogenem‘ Saros (sein realer Fluss von Norden her ist in der Karte eliminiert)

 

Raoul Schrott legt die Hafenbucht „Rhegma“ (Abb. 1 unten) als ideale Hafenellipse an (fast wie den Kriegshafen des legendären Karthago) – ohne jeden Beleg. Auch aus Satellitenbildern (Google Earth) gibt es keinen Hinweis auf eine derartige Form und Lage)). Die Kunde von diesem „Rhegma“ (das Strabons Geographica-Herausgeber Forbinger mit „Durchbruch“ übersetzt – FN 36 zu Strabo XIV.5.10 / S: 959) stammt wohl von Strabo:

Nach Anchiale [eine antike Stadt westlich an der Küste im Raum des heutigen Mersin] folgt die Mündung des Cydnus in das sogenannte Rhegma. Es ist dies eine versumpfte Gegend, die noch alte Schifflager hat, und in welche der mitten durch Tarsus hindurch fließende Cydnus fällt, der seine Quellen auf dem oberhalb der Stadt gelegenen Tarus hat. Auch ist der Sumpf der Hafen von Tarsus.

Die Küstenlinie in Abb. 1 Mitte wurde aus dem Pauly-Atlas übernommen. Man muss allerdings vermerken, dass Pauly in dieser Karte sein Hauptaugenmerk auf den Westen Kleinasiens richtet und das südöstliche Kilikien nur ohne weitere Erwähnung – und auch ohne nähere Quellenangaben – sozusagen stillschweigend ‚mitführt‘. Danach hätte die eine Hafenbucht formende historische Küstenlinie bis fast vor das historische Tarsus gereicht und viel Raum zum Anlanden von Schiffen geboten. Über diese Hafenbucht hinweg hätten Heras heiße Meerwinde von Südwesten mitten in die Ebene zwischen Kydnos und Saros hineinwehen können.

Aber auch der historische Pyramos floss gegen diese Hera’sche Windrichtung. Wenn man die Wikipedia-Hinweise in Kurzartikeln zum Fluss Kydnos und zur historischen Stadt Mallos (auch hier jeweils ohne Quellenangaben) auf späte Flussumleitungen unter dem Oströmischen Kaiser Justinian (527 bis 565) so deuten will, hatte dieser die Geografie in Kilikien wesentlich verändert:

Heute bildet der Pyramos ein neues vorgeschobenes Sediment-Delta (Abb. 1 Mitte, Link wie vor).

Und noch eine letzte Anmerkung zu Heras heißen Winden:

Die Brandschatzung der gesamten Ufervegetation klingt doch sehr nach einer Kriegsführung der verbrannten Erde, die wohl nicht nur in unserer Zeit (z.B. mit der Entwaldung von Vietnam durch die Amerikaner) üblich war. Insofern müsste man – mit Blick auf Homers Zeit und die damaligen assyrischen Kriegszüge zur Bekämpfung von Aufständen in Kilikien – assyrische Quellen auf entsprechende Hinweise durchforsten.

Jedenfalls ‚funktioniert‘ der mit Feuer angegriffene Gott Skamandros so, wie man sich das von einem so drastisch bekämpften Kriegsgegner erwartet: er kuscht und verspricht aus Angst noch viel mehr, als von ihm gefordert war (XXI.367 ff):

... da rief er zu Hera,
Vielfach flehend, und sprach zu ihr die gefiederten Worte:
»Hera, was treibt deinen Sohn dazu, meinen Strom vor den andern
So zu quälen? Denn wahrlich, ich bin dir nicht so viel schuldig
Wie die anderen alle, die Helfer sind für die Troer.
Wahrlich, ich werde jetzt innehalten, wenn du gebietest.
Inne halte auch er. Dazu will ich dieses noch schwören,
Nie von den Troern abzuwehren den Tag des Verderbens,
Auch nicht, wenn ganz Troja in loderndem Feuer verzehrt wird,
Brennend, und wird verbrannt von den streitbaren Söhnen Achaias.«

 

Inhaltlich schließt sich an diese Seite die Übersichtsseite Zur Erkundung der kilikischen Ströme mit dem Entwurf dreier Exkursionen an.
Das Thema Vulkanismus / Magmatismus in Kilikien und seine mögliche Beziehung zu Homers-Anschaung wird auf der Seite In Hephaistos‘ Werkstatt wieder aufgegriffen.
Wesentliche Resultate der Kilikien-Exkursion zur Suche nach der historischen Hafenbucht finden sich auf der Seite Rhegma – der historische Hafen von Tarsos